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Verzicht auf klinische Daten zum Nachweis der Grundlegenden Anforderungen in der initialen klinischen Bewertung

17. Januar 2025

Verzicht auf klinische Daten gemäß Art. 61(10) MDR

Der Verzicht auf klinische Daten in der klinischen Bewertung ist möglich, wenn die Art des Produkts, ausreichende nicht klinische Daten und das Risiko-Management dies zulassen. Ausreichende nicht-klinische Daten liegen vor, wenn alle klinischen Funktionen des Produkts über technische und vorklinische Prüfungen nachgewiesen werden können.

Wie kann ein Hersteller diesen Verzicht als Arbeitserleichterung nutzen? Lesen Sie diesen Beitrag und erfahren Sie weiteres in einem Wissenslunch bei qtec.

Klinische Daten in der klinischen Bewertung

Grundsätzlichen gilt die Forderung der MDR in Art. 61 (1), die klinische Leistung einschließlich des Nutzens und der Sicherheit eines Medizinproduktes durch klinische Daten  nachzuweisen.

Der Verzicht auf klinische Daten stellt jedoch eine Ausnahme dar, welche die MDR in einem eigenen Absatz, dem Artikel 61(10) regelt. Es heißt dort, der Nachweis auf der Grundlage klinischer Daten muss für ungeeignet erachtet werden. Dokumente der -Reihe beschreiben besondere Anwendungsfälle.

Daher werden wir hier die Fälle betrachten, in denen der Nachweis des Nutzens, der Leistung und Sicherheit vollständig auf dem Weg über nicht-klinische Daten möglich ist.

Mögliche Anwendungsfälle finden sich bei häufig im Bereich des Zubehörs zu Medizinprodukten, deren Spezifikationen sich technisch beschrieben lassen. Dies z.B. gilt für

  • Schläuche,
  • Anästhesiemitteln- Verdampfer und
  • einige mit der Hand betriebene Produkte der Klasse I wie etwa
    • Scheren,
    • Skalpelle oder
    • Pinzetten.

Alle solche Produkte lassen sich spezifizieren, ohne dass am Menschen gewonnenes physiologisches, medizinisches oder pharmazeutisches Wissen genutzt wird. Sie basieren auf mathematischen, physikalischen oder chemischen Prinzipien und Methoden.

Vorsicht: Das Fehlen erforderlicher klinischer Daten allein begründet keinen Verzicht darauf, sondern führt zu einer klinischen Prüfung. Diese muss wiederum sinnvoll durchführbar sein, eine klinische Fragestellung erlauben und ethisch gerechtfertigt sein (Anhang XV I.1 MDR). durch eine Prüfung am Menschen beantwortet werden kann. Sonst wären die Risiken der Prüfung ethisch nicht zu rechtfertigen.

Was muss erfüllt sein, um auf klinische Daten zu verzichten?

Art.61 (10) nennt eine Reihe von Merkmalen, die erfüllt sein müssen, um diesen Weg in der klinischen Bewertung zu gehen. Das bedeutet, dass der Nachweis der Übereinstimmung des Produkts mit den Grundlegenden Sicherheit- und Leistungs-Anforderungen ohne klinische Daten möglich ist. Dazu sind die folgenden Aspekte zu :

  • Für das Produkt sind keine klinischen Prüfungen gemäß Art. 61 (4) vorgeschrieben
  • Die Ausnahme ist auf der Basis des Risikomanagements begründbar
  • Besondere Merkmale des Produktes des Zusammenspiels des Produktes und dem menschlichen Körper werden berücksichtigt
  • Besondere Merkmale der bezweckten klinischen Leistung
  • Angaben des Herstellers
  • Ergebnisse nichtklinische Testmethoden
  • Ergebnisse der Leistungsbewertung
  • Ergebnisse der technischen Prüfung
  • Ergebnisse der vorklinischen Prüfung
  • Dokumentation der Ergebnisse in der technischen Dokumentation

Die genannten abstrakten Punkte lassen sich konkretisieren

Für das Produkt sind keine klinischen Prüfungen gemäß Art. 61 (4) vorgeschrieben

Klinische Prüfungen sind grundsätzlich für alle Implantate und Klasse III Produkte durchzuführen, Ausnahmen regeln Art. 61 (4) in Verbindung mit Art. 61 (6) MDR. Damit kommt für diese Produkte ein Verzicht auf klinische Daten nicht in Frage.

Die Ausnahme ist auf der Basis des Risikomanagements begründbar

Ein weiterer Aspekt ist, dass das Risikomanagement den Verzicht auf klinische Daten betrachtet und keine Einwände erhebt. Weiterhin müssen auch die Risikoeinschätzungen ohne klinische Daten auskommen und alle Risikominderungsmaßnahmen technisch spezifizier- und im Labor verifizierbar sein.

Besondere Merkmale des Produktes des Zusammenspiels des Produktes und dem menschlichen Körper werden berücksichtigt

Um auf klinische Daten verzichten zu können, muss sich das Zusammenspiel des Produktes mit dem Körper durch technische, physikalische oder chemische Prinzipien und/oder Effekte beschreiben lassen. Dieser Verzicht ist generell nicht möglich, wenn pharmazeutische oder physiologische Effekte eine Rolle spielen oder der Mensch in eine physiologische Regelschleife eingebunden ist.

Beispiele solcher technischen Effekte sind etwa die Mischung eines Gases aus mehreren Komponenten (Sauerstoff-Gehalt eines Atemgases), die Analyse dieser Mischung, seine Konditionierung (Temperatur) oder Fortleitung (Atemschläuche).

Als physikalischer Effekt wäre die Beleuchtung eines Körpers oder einer Körperstelle zu diagnostischen Zwecken zu nennen.

Ein Hinweis auf physiologische Effekte liegt dann vor, wenn die technische Auslegung des Produkts Wissen aus dem Bereich der Physiologie erfordert. Dazu zählen zum Beispiel die erforderliche Frequenz, die Dauer und die Intensität der Bestrahlung mit Licht zur Behandlung von Erkrankungen der Haut oder die erforderliche Intensität von Stoßwellen in der Lithotripsie.

Bei Beatmungsgeräten wären die Regelung auf eine bestimmte Sauerstoff-Sättigung des Blutes oder der Frequenz der Spontanatmung unter assistierter Beatmung Beispiele für eine vorhandene physiologische Regelschleife.

Besondere Merkmale der bezweckten klinischen Leistung

Der Hersteller legt mit der Zweckbestimmung die klinische Leistung des Produkts fest. Immer wenn physiologische Effekte erfasst werden oder klinische Effekte, d.h. Veränderungen des Gesundheitszustandes des Patienten Gegenstand der Zweckbestimmung sind, ist davon auszugehen, dass klinische Daten benötigt werden.

Ist die Zweckbestimmung hingegen so formuliert, dass keine Veränderung des Gesundheitszustandes ausgelobt wird, so kann ein Verzicht in Frage kommen. Je technischer die Zweckbestimmung ausgelegt ist, umso wahrscheinlicher ist es, dass auf klinische Daten verzichtet werden kann.

Abgrenzung zum Nicht-Medizinprodukt

Bei der Auslegung der Zweckbestimmung ist allerdings darauf zu achten, ob das Produkt immer noch die Definition eines Medizinprodukts nach Art. 2 (1) MDR erfüllt.

Angaben des Herstellers

Die Angaben des Herstellers, die in der Gebrauchsanweisung, Marketingmaterialien und der klinischen Bewertung gemacht werden, müssen auch so ausgelegt sein, dass sie keine über die Zweckbestimmung hinaus gehenden Leistungen versprechen.

Ergebnisse nichtklinischer Testmethoden

Die nicht-klinischen Testmethoden umfassen alle im Labor durchführbaren Tests, also solche für die validierte und verifizierte Testinstrumente zur Verfügung stehen. Dazu zählen auch mechanische Patientensimulatoren.

Ergebnisse der Leistungsbewertung

Für die Leistungsbewertung ist eine vollständige Abdeckung aller Funktionen entscheidend, die das Produkt für den Patienten erbringt, also insbesondere derjenigen, die das Produkt als Medizinprodukt auszeichnen.

Ergebnisse der technischen Prüfung

Hier sind alle Labortest erfasst, welche die Erfüllung der Anforderungen aus dem Anhang I Nr. 10ff der MDR nachweisen.

Ergebnisse der vorklinischen Prüfung

Anhang VII 4.5.4 a) MDR benennt Beispiele von Methoden, die zur vorklinischen Prüfung gehören: vorklinische Erprobung, zum Beispiel Laboruntersuchungen, Erprobung der simulierten Verwendung, Computermodelle, Verwendung von Tiermodellen.

Dokumentation der Ergebnisse in der technischen Dokumentation

Alle Ergebnisse der vorgenannten nicht klinischen Testmethoden sind im Plan zur klinischen Bewertung gemäß Anhang XIV Nr.1 a) MDR unter anderem dem Nutzen und den klinischen Leistungen des Produkts gegenüberzustellen. Kann dabei gezeigt werden, dass alle klinischen Leistungen und Aspekte klinischen Sicherheit durch Test der technischen Prüfung oder der vorklinischen Prüfung vollständig nachgewiesen werden können, entfällt sowohl das Erfordernis des Nachweises über klinische Daten als sekundär auch das einer klinischen Prüfung.

Fazit

Die Verpflichtung zur Planung der klinischen Bewertung sollte vom Hersteller als Möglichkeit gesehen werden, den Anteil derjenigen Funktionen zu minimieren, der über klinische Daten in der klinischen Bewertung nachgewiesen werden muss. Gelingt dies vollständig für alle Funktionen und sind auch die anderen Anforderungen aus Art. 61 (10) erfüllt, so ist der Verzicht auf klinische Daten gut begründet.

Ausblick weiterführende Literatur

Der Hersteller kann sich die Identifikation derjenigen klinischen Funktionen erleichtern, die als Kandidaten für den Nachweis über klinische Daten in Betracht kommen. Er muss dazu während des Entwicklungsprozesses alle Entscheidungen zur Auslegung des Produkts dokumentieren, die auf physiologischem oder klinischem Wissen basieren. Dies kann einfacher sein, als diese Entscheidungen aus dem fertig entwickelten Produkt zu rekonstruieren.

Zur klinischen Bewertung gibt es weitere Beiträge von qtec mit einer Übersicht über den Prozess (Klinische Bewertung von Medizinprodukten unter der MDR) und für den speziellen Fall von Software als Medizinprodukt (Klinische Bewertung von Software als Medizinprodukt nach MDCG 2020-1)

Unser Expertenwissen für Ihren Erfolg

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Kontakt +49 451 808 503 60

 

Fachbeitrag von Dr. Jens-Uwe Hagenah

Dr. Jens-Uwe Hagenah ist Teil unseres vielköpfigen Teams aus Expertinnen und Experten.
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