
Die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie 2024/2853 – Ein großer Schritt in Richtung Modernisierung
Die EU hat ihre Produkthaftungsregeln umfassend überarbeitet. Mit der neuen Produkthaftungsrichtlinie 2024/2853 werden Hersteller, Importeure und Händler mit neuen Anforderungen konfrontiert. Erweiterte Haftungskreise, verschärfte Beweisregeln und strengere Vorgaben für digitale Komponenten – all das stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen.
Was genau ändert sich? Wer ist betroffen? Und welche Schritte sollten Hersteller jetzt einleiten? Dieser Beitrag gibt einen klaren Überblick und zeigt, was die Reform für Unternehmen bedeutet.
Ein Relikt der Vergangenheit wird ersetzt
Die EG-Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG? „Ach ja, die gibt es schon seit fast 40 Jahren.“ Höchste Zeit also, dass sie überarbeitet wird – und genau das ist jetzt passiert!
Die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie 2024/2853 wurde am 18. November 2024 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und trat am 08. Dezember 2024 offiziell in Kraft. Sie ersetzt die alte Regelung und passt die Produkthaftung an die heutigen technologischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten an. Besonders für Hersteller von Medizinprodukten sind die Änderungen erheblich, da Software, Algorithmen und digitale Komponenten nun ausdrücklich als haftungsrelevante Produkte anerkannt werden.
Warum wurde die Produkthaftungsrichtlinie überarbeitet?
Die Welt bleibt nicht stehen – und das gilt auch für die Art und Weise, wie Produkte hergestellt, verkauft und genutzt werden. Seit 1985 hat sich enorm viel verändert: Neue Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI), digitale Dienstleistungen und globale Lieferketten haben die Anforderungen an Produktsicherheit und Haftung grundlegend verschoben.
Die bisherige Richtlinie war auf diese Entwicklungen nicht ausgelegt. Software, Updates oder Algorithmen wurden darin nicht explizit als haftungsrelevant betrachtet. Gerade für Medizinproduktehersteller entstand eine Grauzone.
Mit der neuen Richtlinie will die EU das Produkthaftungsrecht fit für das digitale Zeitalter machen und es an die veränderten Marktbedingungen anpassen.
Und was ändert sich alles mit der neuen Richtlinie?
Ganz einfach: Die alte Produkthaftungsrichtlinie (Richtlinie 85/374/EWG) wird durch die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie 2024/2853 ersetzt. Allerdings bleibt sie weiterhin für alle Produkte gültig, die vor diesem Stichtag in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen wurden (Art. 21, ProdHaftRL).
Zudem gibt es eine Übergangsfrist bis zum 9. Dezember 2026.Das bedeutet, dass Hersteller und andere Akteure in den Mitgliedstaaten der EU knapp zwei Jahre Zeit haben, um die neuen Anforderungen umzusetzen. Bis zu diesem Datum müssen die Mitgliedstaaten die Richtlinie in nationales Recht überführen.
In Deutschland erfolgt dies durch eine Anpassung des Produkthaftungsgesetzes (ProdHaftG) an die neuen EU-Vorgaben. Damit wird das Produkthaftungsrecht erstmals ganzheitlich auf die aktuellen technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen ausgerichtet. Dabei muss sichergestellt werden, dass die nationalen Regelungen mit dem europäischen Rechtsrahmen übereinstimmen.
Was ist neu?
Hier finden Sie die wichtigsten Änderungen im Überblick und Erklärung mit Beispielen aus der Medizintechnik.
Was bedeutet das für Unternehmen?
Die neue Produkthaftungsrichtlinie erweitert den Anwendungsbereich mit Blick auf Produktfehler, ersatzfähige Schäden und haftende Personen erheblich – und damit auch die Risiken für Unternehmen.
Neben Herstellern können künftig auch Importeure, Bevollmächtigte, Händler und Anbieter von Online-Plattformen unter bestimmten Bedingungen haftbar gemacht werden. Ziel der Neuregelung ist es, sicherzustellen, dass geschädigte Personen eine verantwortliche Partei haben, an die sie sich wenden können, selbst wenn der tatsächliche Hersteller außerhalb der EU sitzt oder nicht identifiziert werden kann. (Artikel 8, ProdHaftRL)
Zudem wird es nach der ProdHaftRL für Verbraucher/Anwender/Patienten deutlich einfacher, Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Unternehmen müssen jedoch nicht ihre gesamte technische Dokumentation offenlegen. Ein Gericht kann lediglich gezielte Informationen anfordern, wenn dies zur Klärung eines Produktfehlers notwendig ist. Gleichzeitig werden Geschäftsgeheimnisse ausdrücklich geschützt (Artikel 9, 10, ProdHaftRL)
Mit den neuen Regelungen wird die Verantwortung für Produktfehler präzisiert, insbesondere im Hinblick auf digitale Komponenten und Software-Updates. Hersteller müssen künftig sicherstellen, dass ihre Produkte auch nach dem Inverkehrbringen sicher bleiben – insbesondere, wenn diese nachträglich durch Software oder KI verändert werden können. (Artikel 11 ProdHaftRL)
Was sollten Hersteller jetzt tun?
Um nicht in eine Haftungsfalle zu geraten, sollten potenziell betroffene Hersteller die zwei Jahre ausnutzen und folgende Bereiche überprüfen und gegebenenfalls anpassen:
- Compliance und Prozesse optimieren: Compliance-Systeme, Entwicklungs- und Dokumentationsprozesse an neue Beweislast- und Offenlegungspflichten anpassen. Besonders wichtig: Software-Updates, KI-Algorithmen und Cybersicherheitsmaßnahmen sollten genau nachverfolgt werden
- Vorbereitung auf Offenlegungspflichten: Prozesse zur Einhaltung von Offenlegungspflichten in Gerichtsverfahren entwickeln.
- Haftungs- und Versicherungsrisiken prüfen: Individuelles Haftungsrisiko bewerten, Produkthaftungsprofil analysieren, Versicherungsschutz überarbeiten (Wegfall der Haftungsgrenze beachten).
- Lieferketten und Verträge überprüfen: Haftungsregelungen mit Drittlieferanten klären, Verantwortlichkeiten in der Lieferkette definieren.
- Überwachung und Rückrufe verbessern: Bestehende Systeme zur Produktüberwachung und Rückrufmaßnahmen optimieren.
Anpassung des Post-Market-Surveillance-Systems: Systematische Erfassung von PMS-Daten, da Produktrückrufe als Indiz für Produktfehler gewertet werden können.
Fazit: Ein längst überfälliger Schritt – mit neuen Herausforderungen
Die Aktualisierung der Produkthaftungsrichtlinie bringt wichtige Neuerungen, insbesondere zur Haftung für Software und digitale Produkte. Einerseits verschärft sie die Haftungsregeln für Unternehmen in der EU, andererseits erleichtert sie es Verbrauchern, Schadenersatzansprüche für fehlerhafte Produkte geltend zu machen.
Unternehmen, die digitale oder KI-gestützte Medizinprodukte herstellen, sollten ihre Haftungsstrategien dringend anpassen. Zudem kann es entscheidend sein, umfassende und regelmäßig aktualisierte technische Dokumentationen, Sicherheitsprotokolle und Nachweise zu Software-Updates vorzuhalten, um Haftungsrisiken zu minimieren. Hersteller sollten außerdem sicherstellen, dass ihre Produkte regelmäßig auf Sicherheitslücken geprüft und alle Änderungen transparent dokumentiert sind.
Die neue Produkthaftungsrichtlinie führt zu höheren Haftungsrisiken, da die verlängerten Verjährungsfristen und die verschärfte Haftung bei Softwarefehlern potenziell auch nach dem Inverkehrbringen eines Produkts Auswirkungen haben können. Unternehmen sollten die Übergangsfrist bis Dezember 2026 gezielt nutzen, um ihre Compliance-, Dokumentations- und Risikomanagementprozesse an die neuen Anforderungen anzupassen.
Insgesamt verlangt die neue Richtlinie von Medizinprodukteherstellern eine vorausschauende und gründliche Vorbereitung. Die Veränderungen werden die Produkthaftung in der EU maßgeblich beeinflussen, insbesondere für digitale und KI-gestützte Medizinprodukte.
Die Modernisierung der Produkthaftung war notwendig – für Unternehmen bedeutet sie jedoch eine Neubewertung ihrer Haftungsrisiken und eine frühzeitige strategische Anpassung. Wer rechtzeitig handelt, kann Risiken minimieren und sich in der neuen regulatorischen Landschaft erfolgreich positionieren.