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In-Vitro Diagnostika aus Eigenherstellung, In-Haus-IVD (IH-IVD)

Diagnostische Ergebnisse von Labortests, die aus der Untersuchung humaner Patientenproben gewonnen werden, tragen in vielen Fällen signifikant zu einer Diagnosestellung und zur Entscheidung hinsichtlich des klinischen Managements von Patienten bei. Für den Patienten ist es dabei unerheblich, ob ein Ergebnis mit Hilfe eines zugelassenen, kommerziellen Labortests erhoben wurde, oder durch ein sogenanntes in-Vitro-Diagnostikum aus Eigenherstellung (In-Haus-IVD, IH-IVD). In beiden Fällen kann der Patient erwarten, dass die eingesetzten Tests sicher und zuverlässig sind, dem Stand der Technik entsprechen und Tests unmittelbar nach Bekanntwerden eines ggf. auftretenden Fehlverhaltens korrigiert oder vom Markt entfernt werden.

In den letzten Jahren wurde Anforderungen an die Zulassung kommerzieller in-Vitro Diagnostika verschärft und es wurden bestehende Rechtsvorschriften angepasst oder vollständig neue Regelwerke geschaffen, die das Ziel haben, grundlegende Sicherheits- und Leistungsanforderungen zu formulieren und deren Einhaltung zur Pflicht zu machen. Hersteller sind gehalten, diese Anforderungen umzusetzen und müssen dafür unter Umstände hohe Investitionen tätigen. Umfragen zeigen allerdings, dass knapp die Hälfte aller diagnostischen Untersuchungen mit in-Vitro Diagnostika aus Eigenherstellung, sogenannten In-Haus-IVD (IH-IVD) vorgenommen werden.

IH-IVD sind unverzichtbar

Am 23. Januar 2020 erschien ein von einer internationalen Arbeitsgruppe um Victor M. Cormann publizierter Artikel über einen in-vitro diagnostischen Labortest, der im Rahmen der Coronapandemie eine überragende Bedeutung erlangte. Es handelte sich um einen in Kooperation zwischen öffentlichen und wissenschaftlich tätigen Laboren entwickelten real-time RT-PCR Test, mit dessen Hilfe man aus humanen Probenmaterialien wie Nasen-/Rachenabstichen oder Stuhlproben die RNA des Coronavirus SARS-CoV-2 nachweisen konnte, um Infektionen mit diesem zum damaligen Zeitpunkt neuartigen Virus nachzuweisen oder auszuschließen.

In der Publikation legte die Arbeitsgruppe sowohl die Protokolle als auch die erzielten Ergebnisse offen und ermöglichte so anderen Laboren und kommerziellen Herstellern auf Basis dieser Forschungsergebnisse Reagenzien zu entwickeln, herzustellen und weltweit zum Einsatz zu bringen. (Corman, et al., 2020). In der Zeit, die bis zur Verfügbarkeit industriell hergestellter Tests verging, wurde das Protokoll in vielen Laboren bereits erfolgreich zur Routinediagnostik von Patientenproben eingesetzt und trug somit sehr schnell und umfassend dazu bei, Erkenntnisse über die Verbreitung des Virus zu gewinnen, Infektionsketten zu unterbrechen und viele Menschen vor Ansteckung zu bewahren, indem Infizierte erkannt und isoliert werden konnten.

IH-IVD sind seit Jahren etabliert

Auch wenn der im Labor entwickelte SARS-CoV-2 PCR Test sicher einer der bekanntesten der IH-IVD oder auch „Laboratory developed tests“ (LDT) ist, so ist der Einsatz von Systemen, die in Laboren entwickelt, hergestellt und für die Routinediagnostik eingesetzt werden seit Jahrzehnten etabliert und ein Teil des Laboralltags. Im Juli 2021 startete die BioMed Alliance, eine nicht-kommerzielle Vereinigung, die in der Europäischen Union (EU) führende biomedizinische Gesellschaften vertritt, eine Umfrage in medizinischen Laboratorien.

203 Labore aus verschiedenen europäischen Ländern meldeten sich zurück und es konnte ein umfassendes Bild über die Häufigkeit der Verwendung der IH-IVD und der Anwendungsfelder gewonnen werden. Zusammenfassend stellten 48% der in den Laboren eingesetzten Testsysteme nicht-CE gekennzeichnete Tests dar. Es waren entweder CE-gekennzeichnete Tests, die leicht verändert, CE-Tests, die außerhalb ihrer Zweckbestimmung eingesetzt, Tests, die nur für Forschungszwecke vertrieben oder Tests, die vollständig innerhalb des Labors entwickelt, hergestellt und eingesetzt wurden. (Biomedical Alliance in Europe, 2021). Eine Publikation aus 2022 präsentiert Daten aus dem Labor Berlin (Stand 2020), die darlegen, dass von insgesamt 1336 verschiedenen, eingesetzten Labormethoden gut 49% als IH-IVD bezeichnet werden können. (Spitzenberger, et al., 2022). Angesichts der großen Verbreitung und Bedeutung dieser Diagnostika stellt sich die Frage nach den regulatorischen Rahmenbedingungen in Bezug auf IH-IVD.

Regulatorische Anforderungen

Regulatorische Anforderungen an In-Vitro-Diagnostika mit Gültigkeit für den gesamten europäischen Wirtschaftsraum sind in der EU-Verordnung (EU) 2017/746 (EU-Kommission, 2017) formuliert. Die rechtlichen Grundlagen für In-vitro-Diagnostika aus Eigenherstellung sind dem Artikel 5 „Inverkehrbringen und Inbetriebnahme“ der IVDR zu entnehmen. Im Absatz 5 wird aufgezeigt, dass mit Ausnahme der grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen nach Anhang I (GSPR) die Anforderungen der Verordnung nicht für Produkte gelten, die „innerhalb von in der Union ansässigen Gesundheitseinrichtungen hergestellt und verwendet werden.“ Im Weiteren sind Bedingungen a) bis i) benannt, die von den Gesundheitseinrichtungen eingehalten werden müssen, damit dieser Absatz für Produkte zur Anwendung kommt:

  1. Die Produkte werden nicht an andere, unabhängige Einrichtungen abgegeben,
  2. ein geeignetes Qualitätsmanagementsystem ist etabliert,
  3. die Norm EN ISO 15189 (EN ISO 15189:2022) oder andere, relevante, nationale Vorschriften (ggf. Akkreditierungsvorschriften) werden eingehalten,
  4. eine dokumentierte Begründung liegt vor, dass die spezifischen Erfordernisse der Patientengruppe nicht durch ein kommerzielles, CE-gekennzeichnetes Produkt erfüllt werden bzw. nicht auf dem gleichen Leistungsniveau erbracht werden können,
  5. der zuständigen Behörde werden auf Nachfrage Informationen über die Verwendung der Produkte, sowie eine Begründung für deren Herstellung, Änderung und Verwendung vorgelegt,
  6. eine öffentlich verfügbare Erklärung wird verfasst, die Informationen wie Name und Anschrift der herstellenden Einrichtung, Angaben zur Identifikation der Produkte und eine Erklärung beinhaltet, dass die Produkte die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen nach Anhang I IVDR erfüllen. Für Punkte, die ggf. nicht erfüllt sind, müssen ebenfalls Angaben und eine Begründung für die Nichterfüllung enthalten sein,
  7. werden die Produkte nach Anhang VIII IVDR in die Risikoklasse D eingestuft, sind Unterlagen zu erstellen, die der zuständigen Behörde ermöglichen, die Herstellungsstätte, die Herstellungsverfahren, Auslegung, Leistungsdaten und Zweckbestimmung der Produkte nachzuvollziehen, damit sie einschätzen kann, ob die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen erfüllt sind. Auf nationaler Ebene kann diese Regelung auch auf Produkte ausgeweitet werden, die nach Anhang XIII IVDR in die Risikoklassen A, B oder C einzustufen sind,
  8. die Gesundheitseinrichtung muss die Herstellung nach den in Punkt g) aufgezeigten Unterlagen stets sicherstellen und
  9. Erfahrungen aus der klinischen Anwendung der Produkte sind zu gewinnen, zu begutachten und ggf. Korrekturmaßnahmen einzuleiten.

Die Mitgliedsstaaten haben das Recht von den Gesundheitseinrichtungen weitere, relevante Informationen über die hergestellten Produkte zusammenstellen zu lassen, damit diese den zuständigen Behörden vorgelegt werden können. Weiterhin kann eine Einschränkung der Herstellung und Verwendung auf nationaler Ebene vorgenommen werden und die herstellende Einrichtung muss den zuständigen Behörden Zugang zur Überprüfung ihrer Tätigkeiten gewähren.

Hilfreiche Leitlinie: MDCG 2023-1

Im Januar 2023 hat die Medical Device Coordination Group (MDCG) der EU-Kommission ein MDCG-Dokument zur weiteren Erläuterung des Artikel 5(5) veröffentlicht. (MDCG 2023-1, 2023). Das MDCG-Dokument ist in drei Abschnitte gegliedert und umfasst zwei Anhänge. Nach den Erläuterungen zum Umfang und Zielgruppe werden Begrifflichkeiten geklärt und im Abschnitt drei die Anforderungen der IVDR nach Artikel 5(5) im Detail erläutert.

Anhang A enthält eine Vorlage, die eine Gesundheitseinrichtung für die öffentliche Erklärung zur Herstellung und Verwendung ihrer In-Vitro-Diagnostika aus Eigenherstellung nutzen kann.

Anhang B umfasst eine Darstellung der Zeitleiste, nach der die verschiedenen Unterabschnitte des Artikels 5 IVDR verbindlich zu erfüllen sind. Diese Zeitleiste wurde im Rahmen der Änderungsverordnung von September 2024 noch geringfügig modifiziert.

Die Leitlinie führt die Begrifflichkeit der „in-house devices“ ein, für Produkte, die ausschließlich im EU-Raum und explizit im nicht-industriellen Maßstab hergestellt werden, um spezifische Patientengruppenanforderungen zu erfüllen, die nicht von einem äquivalenten CE-gekennzeichneten Produkt erbracht werden können.

IH-IVD sind von vielen Regelungen durch die IVDR, mit Ausnahme des Anhangs I ausgenommen und die unter Artikel 5(5) genannten Bedingungen anwendbar. Diese werden im Dokument ausführlich erläutert und bilden die Basis für die Kontrolle und Aufsicht über diese Produkte.

Die Leitlinie ist hilfreich für das Verständnis der im Artikel 5(5) genannten Anforderungen und liefert gängige Beispiele. Neben der Definition der Begriffe Gesundheitseinrichtungen und Herstellung wird explizit auf die Erfüllung der grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen Bezug genommen. Dazu gehören Anforderungen an ein geeignetes Risikomanagement- und Qualitätsmanagementsystem sowie Informationen in Bezug auf Design, Herstellung und Leistung sowie die Anforderungen an die Informationen, die zusammen mit dem IVD zur Verfügung gestellt werden.

Ein Prozess sollte etabliert sein, der sicherstellt, dass ggf. auf dem Markt erscheinende, kommerzielle und CE gekennzeichnete, äquivalente Produkte identifiziert und bewertet werden. Die Verwendung von IH-IVD muss laut IVDR begründet und diese Begründung dokumentiert werden. Erläuterungen dazu liefert die Leitlinie in Abschnitt 3.6.

Alle Informationen sind in durchsuchbarer, gut strukturierter Form bereit zu halten. Verwiesen wird in Abschnitt 3.9 auf die Anforderungen an die Inhalte einer Technischen Dokumentation nach Anhang II IVDR. Die Leitlinie gibt in Abschnitt 3.10 weitere Informationen zu Anforderungen an Vigilanz, die Dokumentation von Vorfällen und ggf. durchzuführende Korrekturmaßnahmen. Dokumentierte Prozesse im Rahmen eines QMS sollten etabliert sein. Final geht die Leitlinie auf die Anforderung ein, dass grundsätzlich keine Fertigung im industriellen Maßstab erfolgen darf, allerdings ohne eine exakte Definition zu liefern. Die Analytik einer großen Anzahl von Patientenproben spricht nicht gegen die Anwendung eines IH-IVD und macht ein Produkt nicht automatisch zu einem „im Industriemaßstab gefertigten“ Produkt.

Die MDCG-Leitlinie ist nicht rechtlich bindend, wird aber von den zuständigen Behörden in der Regel zu Grunde gelegt. Benannte Stellen sind in die Herstellung und Verwendung von IH-IVD zum Beispiel in Form einer Prüfung der Technischen Dokumentationen nicht eingebunden. Anforderungen an die Vergabe von UDI (Unique Device Identifier) und/oder Eintragungen in die EUDAMED, wie sie für kommerzielle IVD erforderlich sind, existieren nicht.

Anhang B der Leitlinie vermittelt einen Überblick, ab wann die einzelnen Unterpunkte des Artikel 5 bindend gelten. Mit Ausnahme der Begründung, warum kein CE-gekennzeichnetes, auf dem Markt verfügbares Produkt verwendet werden kann, müssen alle Anforderungen bereits seit 26. Mai 2024 erfüllt sein. Eine Abgabe von IH-IVD an andere Einrichtungen ist bereits seit dem 26. Mai 2022 untersagt. Die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen nach Anhang I IVDR müssen ebenfalls seit diesem Zeitpunkt erfüllt werden. Im Rahmen der Änderungsverordnung VO (EU) 2024/1860 wurde im Juli 2024 die Frist zur Erfüllung der Anforderung nach Art. 5(5)d (Dokumentation einer Begründung) auf den 31. Dezember 2030 verlängert.

Fazit: Umfassende Diagnostik

Hersteller decken mit ihren kommerziellen Tests einen umfassenden Bereich ab, der durch die IH-IVD sinnvoll und in unverzichtbarer Weise ergänzt wird. Durch die IH-IVD werden nicht nur seltene Erkrankungen diagnostiziert oder relativ kleine Patientengruppen wie Kinder abgedeckt, sondern es wird auch eine schnelle und dezentrale Diagnostik sichergestellt, sowie Innovationen vorangetrieben. Diagnostische Labore sind auf einem hohen Qualitätsniveau tätig und stellen sich auch den Anforderungen der IVDR Artikel 5(5).

Haben sie noch Fragen oder benötigen sie Unterstützung bei ihrer Dokumentation ? Gerne helfen wir ihnen.

Literaturquellen:

  • Biomedical Alliance in Europe. (Dezember 2021). Main findings IVDR Questionnaire BioMed Alliance.
  • Corman, V. M., Landt, O., Kaiser, M., Molenkamp, R., Meljer, A., Chu, D. K., . . . Drosten, C. (2020). Detection of 2019 novel coronavirus (2019-nCoV) by. Eurosurveillance, 23-30.
  • DIN EN ISO 15189:2022. Medical laboratories - Requirements for quality and competence
  • EU-Kommission. (5. April 2017). VERORDNUNG (EU) 2017/746 DES EUROPÄISCHEN PPARLAMENTS UND DES RATES vom 5. April 2017 über In-vitro Diagnostika. (Rev. 09.07.2024)
  • MDCG 2023-1. (Januar 2023). Guidance on the health institution exemption under Article 5(5) of Regulation (EU) 2017/745 and Regulation (EU) 2017/746.
  • Spitzenberger, F., Patel, J., Gebuhr, I., Kruttwig, K., Safi, A., & Meisel, C. (2022). Laboratory‑Developed Tests: Design of a Regulatory Strategy in Compliance with the International State-of-the-Art and the Regulation (EU) 2017/746 (EU IVDR). Therapeutic Innovation & Regulatory Science, S. 47-64.
 

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