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Kombinationsprodukte in der EU und den USA: Ein regulatorischer Vergleich

Kombinationsprodukte gewinnen im medizinischen Bereich zunehmend an Bedeutung und stellen ein wachsendes Segment im Gesundheitsmarkt dar.

Ein aktuelles Beispiel ist die „Abnehmspritze“ Ozempic mit vorgefülltem „single-patient-use pen injector“. Diese Produkte kombinieren Arzneimittel und Medizinprodukte in einem Produkt, was u.a. Patienten die eigenständige Applikation ermöglicht und somit medizinisches Fachpersonal entlastet. Gleichwohl bringen diese Produkte komplexe regulatorische Herausforderungen mit sich. Insbesondere die unterschiedlichen Zulassungsverfahren in der Europäischen Union (EU) und den Vereinigten Staaten (USA) können für Hersteller zu einem regulatorischen Labyrinth werden. In diesem Beitrag erklären wir die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Systemen und fokussieren uns besonders auf die fragmentierte Zulassungs- und Registrierungslandschaft in der EU im Vergleich zum zentralisierten FDA-Ansatz in den USA.

Definition von Kombinationsprodukten: Fundamentale Unterschiede

EU: Keine offizielle Definition

In der EU gibt es keine offizielle Definition des Begriffs "Kombinationsprodukt“. Die Medizinprodukteverordnung (MDR) und andere EU-Vorschriften verwenden diesen Begriff nicht explizit. Stattdessen werden Produkte, die eine Kombination aus Arzneimittel und Medizinprodukt darstellen, entweder als Arzneimittel oder als Medizinprodukt reguliert, abhängig von der Hauptwirkungsweise („Primary Mode of Action“, PMOA).

In der EU können folgende Kategorien unterschieden werden:

  1. Medizinprodukte mit Arzneimittel als integralem Bestandteil (z.B. vorgefüllte Spritzen, Autoinjektoren, transdermale therapeutische Systeme, integrale Inhalatoren)
  2. Medizinprodukte mit ergänzendem Arzneimittel-Anteil (z.B. beschichtete Stents, Wundauflagen mit antimikrobiellen Substanzen)
  3. Co-Packaged Produkte (z.B. Kapselbasierte Pulverinhalatoren, Impfstoffe mit beigelegter Spritze, Fiebersaft mit beigelegter Dosierspritze)
  4. Cross-Labelled Produkte (separate Produkte, deren Kennzeichnung auf die gemeinsame Anwendung verweist)

USA: Klare Begriffsbestimmung

In den USA gibt es eine klare Definition für Kombinationsprodukte. Gemäß 21 CFR 3.2(e) handelt es sich um "ein Produkt, das aus zwei oder mehr regulierten Komponenten besteht, die physisch kombiniert, zusammen verpackt oder querverlinkt gekennzeichnet sind". Diese Definition umfasst:

  1. Produkte, die als eine Einheit hergestellt werden
  2. Gemeinsam verpackte Produkte
  3. Getrennt verpackte Produkte, deren gemeinsame Anwendung für die beabsichtigte Wirkung erforderlich ist.

Diese klare Definition in den USA erleichtert den Herstellern die Einordnung ihrer Produkte.

Regulatorische Landschaft: Fragmentiert in EU vs. Zentralisiert in USA

EU: Ein komplexes Netzwerk aus Behörden und privaten Akteuren

Im Gegensatz zu den USA ist das europäische System deutlich fragmentierter:

  • 36 Benannte Stellen für die MDR
  • 12 Benannte Stellen für die IVDR
  • 27 nationale zuständige Behörden in den Mitgliedstaaten
  • Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA)

Diese Fragmentierung führt zu erheblichen Herausforderungen für Hersteller, da sie mit mehreren Akteuren gleichzeitig interagieren müssen. Ein wesentlicher Unterschied zum US-System besteht u.a. darin, dass die Benannten Stellen private, gewinnorientierte Organisationen sind, während die nationalen Arzneimittelbehörden und die EMA öffentliche Einrichtungen darstellen. Dies kann zu unterschiedlichen Interpretationen der Vorschriften führen und erhöht die Komplexität des Zulassungsprozesses.

USA: Ein zentraler Ansprechpartner – die FDA

Das amerikanische Regulierungssystem zeichnet sich durch eine klare, zentralisierte Struktur aus. Die FDA fungiert als alleinige Behörde und Single-Point-of-Contact für die Zulassung und Überwachung. Innerhalb der FDA sind je nach Hauptwirkungsweise verschiedene Zentren zuständig:

  • CDER (Center for Drug Evaluation and Research) für Produkte mit primärer Arzneimittelwirkung
  • CDRH (Center for Devices and Radiological Health) für Produkte mit primärer Medizinproduktewirkung
  • CBER (Center for Biologics Evaluation and Research) für Produkte mit primärer biologischer Wirkung

Bei Unklarheiten bezüglich der Hauptwirkungsweise (PMOA) des Produktes wird das „Office of Combination Products“ (OCP) kontaktiert. Das OCP entscheidet nach Bewertung des Produktes über die Zuständigkeit und koordiniert, wenn nötig auch den Bewertungsprozess zwischen den verschiedenen FDA-Centren. Diese zentrale Struktur sorgt für Konsistenz und Effizienz im Zulassungsverfahren.

Zulassungsverfahren im Vergleich

Verfahren für Arzneimittel mit Medizinprodukt als integralem Bestandteil

EU-Verfahren

In der EU werden diese Produkte rechtlich als Arzneimittel reguliert und benötigen eine Arzneimittelzulassung (Marketing Authorization). Seit Inkrafttreten der MDR (gemäß Artikel 117) müssen jedoch auch die Anforderungen an die Medizinproduktekomponente erfüllt und bewertet werden. Der Ablauf sieht grob wie folgt aus:

  1. Kontaktaufnahme mit einer Benannten Stelle zur Erstellung einer Notified Body Opinion (NBOp), wenn für den Medizinprodukte-Anteil keine eigenständige CE-Zertifizierung vorliegt. Davon ausgenommen sind Produkte der Klasse I aber nicht Is und Im.
  2. Einreichung der Arzneimittelzulassungsunterlagen im CTD-Format (Common Technical Document) bei einer nationalen Behörde oder der EMA mit der Dokumentation von CE-Zertifikat, Declaration of Conformity (DoC) oder NBOp im CTD unter Abschnitt 3.2.R.

Dieses Verfahren kann besonders komplex werden, wenn ein Hersteller mit mehreren Benannten Stellen und nationalen Behörden interagieren muss.

Wenn Sie ein komplexes iDDC (integral Drug-Device-Combination) mit zwei Medizinproduktesystemen haben, dass sie in der ganzen EU zulassen möchten, können Sie am Ende (theoretisch) in die Lage kommen, mit 2 Benannten Stellen und 27 EU-Zulassungsbehörden koordinieren und diskutieren zu müssen.

US-Verfahren

In den USA erfolgt die Zulassung über eine New Drug Application (NDA) oder Abbreviated New Drug Application (ANDA) in der Regel mit dem CDER als Lead-Center. Die Bewertung der Medizinproduktekomponente erfolgt innerhalb der FDA, ohne dass externe Stellen einbezogen werden müssen. Dies vereinfacht den Prozess, und die Kommunikation erheblich und reduziert potenzielle Inkonsistenzen in der Bewertung.

Verfahren für Medizinprodukte mit ergänzendem Arzneimittel-Anteil

EU-Verfahren

Bei diesen Produkten ist die Benannte Stelle der primäre Ansprechpartner des Herstellers für die Konformitätsbewertung. Für die Beurteilung der Arzneimittelkomponente ist jedoch ein sogenanntes Konsultationsverfahren nach Artikel 52(9) der MDR erforderlich:

  1. Vorbereitung der Technischen Dokumentation (TD) für den Medizinprodukteanteil sowie der relevanten Teile des CTD für die Arzneimittelkomponente
  2. Einreichung bei der Benannten Stelle
  3. Die Benannte Stelle leitet die Unterlagen zur Arzneimittelkomponente an eine nationale Behörde oder die EMA weiter.
  4. Die Behörde erstellt eine wissenschaftliche Stellungnahme (max. 210 Tage).
  5. Die Benannte Stelle berücksichtigt diese Stellungnahme bei ihrer finalen Entscheidung.
US-Verfahren

In den USA würde das CDRH als führendes Zentrum fungieren und das Produkt über ein 510(k), De Novo oder das PMA-Verfahren bewerten, wobei intern mit dem CDER konsultiert wird. Die interne Abstimmung zwischen den FDA-Zentren vereinfacht den Prozess für den Hersteller erheblich.

Die Rolle der Benannten Stellen: Ein Spezifikum des EU-Systems

Funktion und Herausforderungen

Benannte Stellen sind private Organisationen, die von den EU-Mitgliedstaaten benannt werden, um Konformitätsbewertungen für Medizinprodukte durchzuführen. Sie spielen eine entscheidende Rolle im europäischen Regulierungssystem:

  • Sie bewerten die Konformität von Medizinprodukten nach gesetzlichen Anforderungen
  • Sie stellen CE-Zertifikate aus, die für den Marktzugang erforderlich sind
  • Sie führen regelmäßige Audits bei Herstellern von Medizinprodukten durch

Die Tatsache, dass es sich um private, gewinnorientierte Organisationen handelt, führt zu besonderen Herausforderungen u.a.:

  • Mögliche Interessenkonflikte zwischen kommerziellen Interessen und regulatorischer Strenge
  • Unterschiedliche Interpretationen der Vorschriften zwischen verschiedenen Benannten Stellen
  • Kapazitätsprobleme, insbesondere seit Einführung der MDR

Auswahl der Benannten Stelle

Die Auswahl der richtigen Benannten Stelle ist für Hersteller von großer Bedeutung. Dabei müssen sie sicherstellen, dass die Benannte Stelle für den spezifischen Produkttyp und die entsprechende Konformitätsbewertung designiert ist. Hersteller können auf der NANDO-Website (New Approach Notified and Designated Organisations) nach designierten Benannten Stellen suchen.

Grenzfälle und unklare Hauptwirkungsweise

Umgang mit Grenzfällen in der EU

Bei Produkten mit unklarer Hauptwirkungsweise kann es in der EU zu immensen Herausforderungen kommen. Ein möglicher Weg ist die Einholung eines Scientific Advice bei einer nationalen Behörde, wobei der Hersteller hier wieder die Qual der Wahl aus 27 nationalen Behörden hat und die Antwort nicht rechtlich bindend ist was bedeutet das andere EU Behörden möglicherweise zu einer abweichenden Einschätzung kommen können. Das kann dazu führen, dass das Produkt im sogenannten „Helsinki-Verfahren“ landet. Dieses Verfahren schafft dann zwar endgültige Klarheit, ist jedoch mit erheblichen Verzögerungen (9-24 Monate) verbunden.

Office of Combination Products in den USA

Im Gegensatz dazu verfügen die USA über das Office of Combination Products (OCP), das speziell für Grenzfälle und Produkte mit unklarer Hauptwirkungsweise zuständig ist. Das OCP trifft eine verbindliche Entscheidung über die Klassifizierung und den regulatorischen Pfad, was für Hersteller Planungssicherheit bietet.

Praktische Auswirkungen auf Hersteller

Zeitliche und ressourcenbezogene Implikationen

Die unterschiedlichen regulatorischen Ansätze haben direkte Auswirkungen auf die Zeit- und Ressourcenplanung von Herstellern:

EU-System:

  • Längere Zeithorizonte durch mehrstufige Verfahren,
  • Höherer Personalaufwand für die Koordination mit verschiedenen Akteuren,
  • Erhöhte Kosten durch Interaktion mit mehreren Organisationen,
  • Notwendigkeit länderspezifischer Anpassungen bei dezentralen Verfahren.

US-System:

  • Straffere Zeitpläne durch zentralisierte Prozesse,
  • Geringerer Koordinationsaufwand durch Single-Point-of-Contact,
  • Einheitliche Anforderungen durch zentrale Behörde.

Strategische Überlegungen für Hersteller

Für den EU-Markt:

  1. Frühzeitige Identifizierung der Produktkategorie und des regulatorischen Pfades
  2. Sorgfältige Auswahl der Benannten Stelle mit relevanter Expertise
  3. Proaktive Kommunikation mit allen beteiligten Behörden
  4. Berücksichtigung möglicher Unterschiede in der Interpretation zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten

Für den US-Markt:

  1. Klare Definition der Hauptwirkungsweise des Produkts
  2. Frühzeitige Kontaktaufnahme mit dem OCP bei Grenzfällen
  3. Nutzung von Pre-Development, Pre-Submission Meetings mit der FDA

Handeln Sie jetzt: Navigieren Sie sicher durch das regulatorische Labyrinth!

Ob Sie Ihre Kombinationsprodukte in der EU oder den USA auf den Markt bringen möchten – ein tiefes Verständnis der regulatorischen Anforderungen ist unerlässlich. Nutzen Sie unser Fachwissen, um komplexe Zulassungsprozesse effizient zu meistern und Ihre Innovationskraft erfolgreich in beiden Märkten umzusetzen. Kontaktieren Sie uns für eine individuelle Beratung – und bringen Sie Ihre Produkte schneller und sicherer zum Patienten.

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Jüngste Entwicklungen und Ausblick

Entwicklungen in der EU

Mit der Einführung der MDR haben sich die Anforderungen in der EU erhöht. Artikel 117 der MDR hat den Genehmigungsprozess für Arzneimittelabgabesysteme erheblich beeinflusst und erfordert in den meisten Fällen das Einbeziehen einer Benannten Stelle. Dies hat zu einer weiteren Komplexitätssteigerung geführt.

Zugleich wurden glücklicherweise Anstrengungen unternommen, die Kommunikation zwischen Herstellern und Benannten Stellen zu verbessern. Die MDCG-Leitlinie 2022-14 ermutigt u.a. zu einem strukturierten Dialog vor und während der Konformitätsbewertung, um die Effizienz und Vorhersehbarkeit der behördlichen Zulassung zu verbessern.

Entwicklungen in den USA

Die FDA entwickelt kontinuierlich ihre Leitlinien für Kombinationsprodukte weiter. Ein Entwurfsdokument mit dem Titel "Principles of Premarket Pathways for Combination Products" beschreibt mögliche Zulassungswege und illustriert diese anhand von Beispielen. Dies unterstreicht den Ansatz der FDA, klare und transparente Leitlinien für Hersteller bereitzustellen. Allerdings ist aufgrund von politischen Entscheidungen in der nächsten Zeit auch mit vermehrten Engpässen bei der FDA zurechnen.

Fazit: Die zwei Systeme im Vergleich

Die regulatorischen Systeme für Kombinationsprodukte in der EU und den USA unterscheiden sich deutlich:

  • Das EU-System basiert auf einem dezentralen Ansatz mit Benannten Stellen als privaten Konformitätsbewertungsstellen und historisch bedingt zahlreichen nationalen Behörden. Dies führt zu einer höheren Komplexität, bietet aber potenziell mehr Flexibilität für bestimmte Fälle.
  • Das US-System zeichnet sich durch eine zentralisierte, behördlich gesteuerte Struktur aus, die Klarheit, Einheitlichkeit und Effizienz bietet. Die FDA als Single-Point-of-Contact vereinfacht den Zulassungsprozess erheblich.

Für global agierende Hersteller bedeutet dies, dass sie unterschiedliche Strategien und Ressourcen für die verschiedenen Märkte bereitstellen müssen. Ein tiefes Verständnis beider Systeme ist unerlässlich, um Kombinationsprodukte erfolgreich zu zulassen und auf den Markt zu bringen.

Die weitaus klarere Struktur des US-Systems hat dazu geführt, dass Hersteller erwägen, ihre Produkte bevorzugt in den USA zuzulassen. Es bleibt zu hoffen, dass durch verbesserte Kommunikation zwischen den einzelnen EU-Akteuren, der Standort EU wieder attraktiver wird.

Trotz der Unterschiede streben beide Systeme das gleiche Ziel an: die Sicherstellung der Sicherheit und Wirksamkeit von Kombinationsprodukten zum Nutzen der Patienten.

Für die Zukunft bleibt abzuwarten, ob das EU-System weiter harmonisieren wird oder ob die strukturellen Unterschiede bestehen bleiben. Bis dahin müssen Hersteller von Kombinationsprodukten beide regulatorischen Landschaften verstehen, wenn sie in den Märkten erfolgreich agieren wollen.

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