
Körpermodifikation – Body Modification und die MDR
08. Mai 2025
Elfenohren oder Teufelshörner, unter die Haut implantierte Elemente, gedehnte Ohrläppchen oder Ziernarben – die Welt der Körpermodifikation ist vielfältig. Vom Branding bis zur Zungenspaltung reicht das Spektrum.
Was vielen Anbietern nicht bewusst ist: Einige dieser Produkte unterliegen inzwischen der EU-Verordnung 2017/745 (MDR). Aus diesem Grund werden wir uns in diesem Beitrag etwas genauer mit diesen Produkten, die Grauzonen und den Herausforderungen, die der europäische Markt für Akteure in diesem Segment mitbringt, beschäftigen.
Die MDR: Produkte im Geltungsbereich des Anhang XVI
Gemäß Artikel 1 Absatz 2 der MDR fallen auch Produkte ohne medizinischen Zweck, die im Anhang XVI gelistet sind, in den Geltungsbereich der Verordnung – sobald Gemeinsame Spezifikationen (Common Specifications, CS) dafür vorliegen.
Diese Spezifikationen gelten seit dem 22. Juni 2023 (Durchführungsverordnung (EU) 2022/2346). Sechs Monate nach diesem Datum, also ab dem 22. Dezember 2023, greifen die Anforderungen der MDR verbindlich für diese Produktgruppen.
Nicht alle Produkte aus dem Bereich der Körpermodifikation fallen jedoch automatisch in den Geltungsbereich der MDR. Anhang XVI der Verordnung nennt insbesondere:
- Kontaktlinsen oder andere zur Einführung in oder auf das Auge bestimmte Artikel.
- Produkte, die dazu bestimmt sind, durch chirurgisch-invasive Verfahren zum Zwecke der Modifizierung der Anatomie oder der Fixierung von Körperteilen vollständig oder teilweise in den menschlichen Körper eingeführt zu werden, mit Ausnahme von Tätowierungs- und Piercingprodukten.
- Stoffe, Kombinationen von Stoffen oder Artikel, die zur Verwendung als Gesichts- oder sonstige Haut- oder Schleimhautfüller durch subkutane, submuköse oder intrakutane Injektion oder andere Arten der Einführung bestimmt sind, mit Ausnahme derjenigen für Tätowierungen.
Die Frage, die sich nun am häufigsten stellt, ist folgende:
"Wann handelt es sich um ein Piercingprodukt und ist damit ausgeschlossen aus dem Geltungsbereich der Verordnung?"
Hierzu gibt es eine einfache Entscheidungshilfe:
Im Gegensatz zu klassischen Piercingprodukten, die man ohne große Probleme entfernen kann (auch wenn das, bedingt durch das Design des Produktes gelegentlich schwierig sein kann), müssen Produkte, die in den Geltungsbereich der Verordnung fallen, zumeist durch Eingriffe auch wieder entfernt werden. Ein Bauchnabelpiercing beispielsweise, welches vom Träger einfach herausgenommen werden kann, wird also kein Produkt im Sinne des Anhang XVI darstellen. Sogenannte Transdermals, also transdermale Implantate, die häufig zum Anbringen von verschiedenen Schmuckstücken oder Aufsätzen dienen, müssen dagegen im Rahmen eines invasiven Eingriffs entfernt werden. Ist also keine „unblutige“ Entfernung des Körperschmuckes möglich, wird es sich in aller Regel um ein Produkt handeln, auf welches die Verordnung zutrifft. Lässt es sich überhaupt nicht entfernen, trifft das natürlich auch zu.
Aber auch Materialien, die beispielsweise der Aufpolsterung dienen, sind durch die Medizinprodukteverordnung geregelt.
Was bedeutet das für die Anwender solcher Produkte?
Für die Anwender dieser Produkte – also die Künstler, die sie in oder an den Körper bringen – bedeutet dies, dass in Europa ausschließlich Produkte verwendet werden dürfen, die eine gültige CE-Kennzeichnung nach der MDR tragen. Für diese Produkte gelten dieselben Klassifizierungsregeln wie für klassische Medizinprodukte. Aufgrund ihrer Art – etwa Implantate oder subkutan injizierte Filler – werden sie in aller Regel einer höheren Risikoklasse zugeordnet. Dies macht die Einbindung einer Benannten Stelle in das Konformitätsbewertungsverfahren erforderlich, bevor das Produkt überhaupt CE-gekennzeichnet werden darf.
Anwender müssen sich darüber hinaus absichern, dass sie über ausreichende Kenntnisse und fachliche Einschätzung verfügen, um nicht konforme oder falsch gekennzeichnete Produkte zu erkennen und deren Einsatz zu vermeiden. Denn der bloße Anschein einer CE-Kennzeichnung bedeutet noch keine Konformität. In der Praxis bedeutet das: Es muss nachvollziehbar sein, ob ein Produkt zulassungspflichtig ist – und ob diese Zulassung auch ordnungsgemäß vorliegt.
Mit Blick auf das Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG) konkretisieren sich die regulatorischen Anforderungen im Umgang mit Produkten nach Anhang XVI MDR weiter. Wer regelmäßig solche Produkte anwendet (z. B. Implantate oder Geräte zur Hautbehandlung), muss sicherstellen, dass ausschließlich konforme Produkte mit gültiger CE-Kennzeichnung verwendet werden und dass im Fall von Problemen die entsprechenden Pflichten nach MDR erfüllt werden.
DasMPDG gilt nicht automatisch für alle, die Körpermodifikationen durchführen. Es wird nur dann relevant, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind:
Wann besteht keine regulatorische Relevanz?
Keine regulatorische Relevanz im Sinne der MDR und des MPDG besteht, wenn ausschließlich Produkte verwendet werden, die nicht unter die MDR fallen. Das betrifft insbesondere:
- klassische Tätowierfarben (reguliert über REACH),
- Piercingschmuck, der ohne invasiven Eingriff einsetzbar und entfernbar ist,
- sowie temporäre Accessoires, die nicht dauerhaft im Körper verbleiben.
Auch Produkte, die explizit vom Anwendungsbereich der MDR ausgenommen sind – etwa Tätowierungs- und Piercingprodukte gemäß Anhang XVI – unterliegen nicht den medizinprodukterechtlichen Anforderungen. In diesen Fällen greifen andere rechtliche Rahmenwerke, etwa das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) für verbrauchernahe Geräte und Accessoires oder die hygienerechtlichen Vorschriften der Länder, die Anforderungen an Räumlichkeiten, Sterilität und Durchführung regeln.
Was bedeutet das für Importeure und Händler solcher Produkte?
Viele der Produkte im Segment Körpermodifikation werden aus sogenannten Drittstaaten importiert. Sie werden also beispielsweise in Asien hergestellt und hier in Europa verwendet. Wer solche Produkte direkt aus dem Drittstaat erwirbt und sie hier in den Verkehr bringt (unabhängig davon, ob sie weiterverkauft werden oder selbst verwendet werden), ist ein Importeur und hat die entsprechenden Pflichten gemäß Artikel 13 und 14 der MDR, einschließlich der Registrierungs- und Prüfpflichten, zu erfüllen. Dazu zählen unter anderem die Prüfung der CE-Kennzeichnung, das Vorliegen einer Konformitätserklärung und gegebenenfalls die Registrierung in der europäischen Datenbank EUDAMED.
Auch Händler, die Produkte lediglich weiterverkaufen oder zwischenlagern, unterliegen klar definierten Pflichten. Dazu gehört insbesondere die Verantwortung, nur konforme Produkte zu vertreiben und bei Verdachtsfällen auf Nichtkonformität angemessen zu reagieren. Die Rollenverteilung gemäß Artikel 13 (Importeur) und Artikel 14 (Händler) der MDR sollte daher jedem klar sein, der Produkte dieses Segments in Umlauf bringt.
Was bedeutet das für Hersteller solcher Produkte?
Hersteller von solchen Produkten müssen, unabhängig davon, ob sie ihren Sitz innerhalb der EU haben, oder nicht, ein entsprechendes Konformitätsbewertungsverfahren durchführen. In aller Regel wird dies die Einbindung einer Benannten Stelle erfordern. Ein solches Konformitätsbewertungsverfahren kann gut und gern 12-18 Monate in Anspruch nehmen.
Was muss ein Hersteller von solchen Produkten mit Sitz außerhalb der EU bedenken?
Ein Hersteller mit Sitz außerhalb der EU muss zwingend einen EU-Bevollmächtigten benennen, der als Ansprechpartner gegenüber Behörden agiert und die Einhaltung der MDR-Pflichten überwacht. Die Aufgaben des Bevollmächtigten sind in Artikel 11 MDR geregelt. Dazu zählen insbesondere die Prüfung der Konformitätserklärung, das Bereithalten der technischen Dokumentation sowie die Mitwirkung im Rahmen von Marktüberwachungsmaßnahmen.
Fehlt ein solcher Bevollmächtigter, oder wird er nicht ordnungsgemäß benannt, gilt das Produkt rechtlich als nicht konform – mit der Folge, dass es nicht in der EU in Verkehr gebracht werden darf.
Was bleibt zu tun?
Für Studios, Künstler und Anbieter im Bereich Body Modification wird es zunehmend wichtiger, zwischen freiverkäuflichen Körperdeko-Produkten und MDR-regulierten Implantaten oder Füllmaterialien zu unterscheiden. Wer mit invasiven oder dauerhaft im Körper verbleibenden Produkten arbeitet, bewegt sich nicht mehr in einer Grauzone, sondern unterliegt klaren regulatorischen Vorgaben. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, die eigenen Produkte und Verfahren zu prüfen – damit langfristig sicher, transparent und rechtskonform gearbeitet werden kann.
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