
Regulatorische Anforderungen für Systeme und Behandlungseinheiten unter der MDR
9. Dezember 2021Verschiedene (Medizin-) Produkte können zu einem Paket zusammengefügt und in Verkehr gebracht werden. Diese Pakete werden als Systeme oder Behandlungseinheiten betitelt, für die es eigene regulatorische Anforderungen gibt. Dies war schon unter der Richtlinie 93/42/EWG für Medizinprodukte (MDD) möglich und wird auch unter der seit 26. Mai 2021 geltenden Verordnung EU 2017/745 für Medizinprodukte (MDR) weiterhin möglich sein - allerdings mit einigen Änderungen.
Überblick über neue Anforderungen der MDR
Dieser Beitrag richtet sich an Hersteller von Systemen und Behandlungseinheiten, um ihnen einen Überblick über neue Anforderungen der MDR zu geben, damit diese frühzeitig geplant und umgesetzt werden können. Auf diese Weise kann der (System-) Hersteller die Produkte weiterhin problemlos kombiniert in Verkehr bringen.
Systeme und Behandlungseinheiten unter der MDD 93/42/EWG
Schon unter der Richtlinie 93/42/EWG für Medizinprodukte (MDD) war es möglich, verschiedene Produkte zusammenzupacken und als ein System oder eine Behandlungseinheit in Verkehr zu bringen. Die MDD forderte dabei ganz klar, dass es sich bei den zusammengepackten Produkten um CE-gekennzeichnete Medizinprodukte handeln muss. Ausgenommen waren also in-vitro Diagnostika und sonstige Produkte mit CE-Kennzeichnung (Nicht-Medizinprodukte). Zusätzlich musste das Zusammensetzen entsprechend den Zweckbestimmungen der einzelnen Produkte und innerhalb der vom Hersteller vorgesehenen Anwendungsbeschränkungen erfolgen. Für das in Verkehr bringen eines Systems oder einer Behandlungseinheit musste der (System-) Hersteller kein eigenes Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen. Er hatte lediglich eine Erklärung gemäß Artikel 12 der MDD zu erstellen, die bestätigt, dass
- die gegenseitige Vereinbarkeit der Produkte entsprechend den Hinweisen der Hersteller geprüft wurde und die Arbeitsschritte entsprechend den Hinweisen durchgeführt wurden.
- das System oder die Behandlungseinheit verpackt und sachdienliche Benutzerhinweise, einschließlich der einschlägigen Hinweise der Hersteller berücksichtigt wurden.
- die gesamte Tätigkeit des Zusammenpackens in geeigneter Weise intern überwacht und kontrolliert wurde.
Ein zentraler Aspekt fehlte in der MDD
Viele (System-) Hersteller suchten vergebens nach einer Definition von Systemen und Behandlungseinheiten in den Begriffsbestimmungen der MDD. Somit war unter der MDD die Frage offen, was überhaupt ein System oder eine Behandlungseinheit ist und welche Produktkombinationen darunter fallen. Diese Unklarheit lieferte viel Interpretationsspielraum zwischen (System-) Hersteller und den Benannten Stellen. Diese Lücke wird nun mit der neuen Verordnung EU 2017/745 für Medizinprodukte (MDR) gefüllt.
Definitionen für Systeme und Behandlungseinheiten unter der MDR
Mit der MDR ist auch eine Definition von Systemen und Behandlungseinheiten unter den Begriffsbestimmungen in Artikel 2, Punkt 10 und 11 zu finden. Demnach ist eine Behandlungseinheit eine Kombination von zusammen verpackten und in Verkehr gebrachten Produkten, die zur Verwendung für einen spezifischen medizinischen Zweck bestimmt sind.
Timo Bohnhoff, qtec Experte
Anforderungen für Systeme und Behandlungseinheiten gemäß Artikel 22 der MDR
Die Anforderungen für Systeme und Behandlungseinheiten sind in Artikel 22 der MDR geregelt. Hierbei gibt es für (System-) Hersteller einen erfreulichen Unterschied zur MDD. Mit der MDR können nun auch in-vitro Diagnostika mit CE Kennzeichnung gemäß der Verordnung (EU) 2017/746 sowie sonstige Produkte mit CE-Kennzeichnung (also Nicht-Medizinprodukte) innerhalb eines Systems oder einer Behandlungseinheit zusammen verpackt werden, ohne ein separates Konformitätsbewertungsverfahrung durchlaufen zu müssen. Allerdings gilt auch hier wieder die Voraussetzung, dass das Zusammensetzen der Produkte entsprechend den Zweckbestimmungen der einzelnen Medizin- oder sonstigen Produkte und innerhalb der vom Hersteller vorgesehenen Anwendungsbeschränkungen erfolgt. Diese Neuerung bietet (System-) Herstellern nun mehr Handlungsspielraum in der Kombination der Produkte innerhalb eines Systems oder einer Behandlungseinheit, da nun auch andere Produkte neben Medizinprodukten zugefügt werden können.
Auch unter der MDR ist eine Erklärung gemäß Artikel 22 des (System-) Herstellers notwendig. Der Inhalt dieser Erklärung ist nahezu ähnlich zu den Anforderungen aus dem bereits bekannten Artikel 12 der MDD. Es gibt allerdings eine bedeutende Erweiterung, die Hersteller von Systemen und Behandlungseinheiten wissen und beachten sollten. Unter Punkt 2 c) wird neben der internen Überwachung und Kontrolle der geeigneten Methoden zur Zusammenstellung der Produkte nun auch eine Verifizierung und Validierung der Zusammenstellung gefordert. Somit kommt durch die Erweiterung dieses Absatzes ein Mehraufwand auf die (System-) Hersteller zu, der zuvor unter der MDD nicht explizit gefordert wurde. Dies hat zur Folge, dass sich Hersteller von Systemen und Behandlungseinheiten nun auch mit den Prozessen der Verifizierung und Validierung beschäftigen müssen, sowie Spezifikationen erstellen müssen, gegen die überhaupt verifiziert und validiert werden kann.
Bitte beachten Sie hierzu auch unseren qtec Blog Beitrag „Unterschied Verifizierung und Validierung“.
Wann ist ein eigenständiges Konformitätsbewertungsverfahren notwendig?
Sobald von den zuvor genannten Anforderungen des Artikels 22, Punkt 1 und 2 abgewichen wird, reicht eine Erklärung gemäß Artikel 22 des (System-) Herstellers nicht aus. Dies ist der Fall, wenn das System oder die Behandlungseinheit Produkte enthält, die keine CE-Kennzeichnung tragen. Die Erklärung ist weiterhin nicht ausreichend, wenn die Kombination der Produkte und die Zweckbestimmung des Systems oder der Behandlungseinheit nicht mit den ursprünglichen Zweckbestimmungen der einzelnen Produkte übereinstimmt. Hierzu zählt auch eine Sterilisation des Systems oder der Behandlungseinheit, wenn diese nicht gemäß den Anweisungen der Hersteller der einzelnen Produkte durchgeführt wird.
Ist einer dieser genannten Aspekte zutreffend, wird das System oder die Behandlungseinheit als ein eigenständiges Produkt behandelt, sodass der (System-) Hersteller ein einschlägiges Konformitätsbewertungsverfahren nach Artikel 52 der MDR durchführen muss. Damit rutscht der (System-) Hersteller in die Rolle des Herstellers gemäß Artikel 2, Punkt 30 samt dessen umfangreichen Pflichten gemäß Artikel 10 der MDR.
Kennzeichnung und Identifizierung von Systemen und Behandlungseinheiten
Systeme und Behandlungseinheiten, die die Anforderungen gemäß Artikel 22 der MDR erfüllen und für die eine Erklärung des (System-) Herstellers vorliegen, werden nicht mit einem zusätzlichen CE-Zeichen versehen. Sie müssen jedoch Namen und Anschrift des (System-) Herstellers enthalten. Weiterhin gelten auch für Systeme und Behandlungseinheiten die unter Anhang I, Abschnitt 23 genannten Anforderungen zur Kennzeichnung und dem Produkt mitzuliefernden Informationen.
Systeme und Behandlungseinheiten müssen zur eindeutigen Identifizierung eine eigene Unique Device Identification (UDI) erhalten (Anhang VI, Teil C, Punkt 3.7 der MDR). Hierfür ist der (System-) Hersteller verantwortlich. Genauere Informationen und Anforderungen liefert hierbei der Punkt 6.3 mit seinen Unterpunkten 6.3.1 – 6.3.3 des Anhang VI, Teil C der MDR. Hier ist geregelt, wo und wie die UDI auf Systemen und Behandlungseinheiten anzubringen ist, inkl. möglicher Ausnahmeregelungen.
Eine Hilfestellung für (System-) Hersteller kann diesbezüglich der Leitfaden der Medical Device Coordination Group (MDCG) in ihrem MDCG Dokument 2018-3 Rev.1 mit dem Titel Guidance on UDI for systems and procedure packs liefern. Hier gibt es neben Beispielen für Systeme, Behandlungseinheiten und Wirtschaftsakteure, die nicht als (System-) Hersteller zu verstehen sind, auch Informationen zur Registrierung und UDI Kennzeichnung von Systemen und Behandlungseinheiten.
Registrierung des Systems oder der Behandlungseinheit und dessen Herstellers
Der (System-) Hersteller muss nach Vergabe einer Basis-UDI für sein System oder seiner Behandlungseinheit gemäß Artikel 29, Punkt 2 der MDR diese zusammen mit den weiteren Produkt- und Herstellerinformationen aus Anhang VI, Teil B der MDR in die zentrale europäische Datenbank für Medizinprodukte (EUDAMED) eintragen.
Um dieser Pflicht nachzukommen, muss sich der (System-) Hersteller zuerst selbst in EUDAMED unter dem sogenannten Actor Registration Module als Produzent von Systemen und Behandlungseinheiten registrieren. Er erhält dementsprechend eine Single Registration Number (SRN) gemäß Artikel 31 der MDR von seiner zuständigen Behörde. Hierbei gilt es zu beachten, dass Hersteller, die die Rolle als Hersteller gemäß Artikel 2, Punkt 30 der MDR übernehmen und zusätzlich Systeme oder Behandlungseinheiten zusammenstellen, sich auch zweifach in EUDAMED registrieren müssen. Sie erhalten dementsprechend für ihre zwei Rollen auch zwei SRN.
Fazit
Mit der neuen Verordnung EU 2017/745 für Medizinprodukte (MDR) gibt es auch Änderungen an die Anforderungen für Systeme und Behandlungseinheiten. Die MDR schafft mit Definitionen in den Begrifflichkeiten nicht nur Klarheit, sondern kann auch Vorteile und mehr Flexibilität in der Kombination von Produkten für (System-) Hersteller bringen. Allerdings kann die MDR auch zu mehr Aufwand und Kosten führen, da nun Anforderungen z.B. zur Verifizierung und Validierung auf die (System-) Hersteller zukommen, die zuvor nicht explizit gefordert wurden. Hersteller von Systemen und Behandlungseinheiten sollten sich mit den Neuerungen durch die MDR befassen und die Umsetzung frühzeitig angehen, um eine lückenlose Verfügbarkeit ihrer Systeme und Behandlungseinheiten garantieren zu können.
Umfangreiches Konformitätsbewertungsverfahren oder überschaubare Herstellererklärung?
Die Antwort auf diese Frage hat einen erheblichen Einfluss auf die Zeitplanung und Budgetierung für Sie als Hersteller von Systemen und Behandlungseinheiten. Daher sollte sie genauestens geprüft und beantwortet werden.
Wir klären gemeinsam mit Ihnen diese Frage!