Seit Juli 2016 gültig: MEDDEV 2.7/1 Revision 4
Die neue Leitlinie zur Erstellung von klinischen Bewertungen
Die MEDDEV 2.7/1 ist eine europäische Leitlinie zur Erstellung von klinischen Bewertungen im Rahmen der Konformitätsbewertung (zur Erlangung des CE-Zeichens) von Medizinprodukten.
Seit dem 1. Juli 2016 ist die aktuelle Revision 4 dieser Leitlinie gültig und soll sofort angewendet werden. Gegenüber der Vorgängerversion ergeben sich teilweise erhebliche Veränderungen, die gravierenden Einfluss auf die praktische Durchführung klinischer Bewertungen aller Risikoklassen haben. Gleichzeitig bestehen Überlappungen zu anderen Leitlinien und Normen.
Auch wenn es sich bei der MEDDEV 2.7/1 Revision 4 offiziell um eine Leitlinie ohne Gesetzcharakter handelt, wird sie de facto als verbindlich interpretiert und gehandhabt.
Die neuen Herausforderungen in der Konformitätsbewertung von Medizinprodukten
Die Revision 4 resultiert in wesentlichen Herausforderungen sowohl in der inhaltlich-wissenschaftlichen Durchführung einer klinischen Bewertung als auch in ihrer Implementierung in den Prozessen eines Herstellers.
Die MEDDEV 2.7/1 Revision 4 ist sehr stark aus der Perspektive der Konformitätsbewertung von Implantaten verfasst worden. Diese machen aber nur einen kleinen Teil aller Medizinprodukte aus. Auch dadurch sind die Anforderungen an klinische Bewertungen insbesondere für Nicht-Implantate und Produkte niedriger Risikoklassen überproportional stark gestiegen.
Mehr klinische Daten nötig, die zunehmend selbst generiert werden müssen
Detaillierte und erschöpfende klinische Daten werden ab sofort nicht nur für die Bewertung des eigentlichen Produktes gefordert, sondern auch für die Beschreibung des Bereichs der klinischen Anwendung und alternativer Methoden sowie deren Bewertung im diagnostischen und therapeutischen Kontext im Vergleich zu dem zu bewertenden Produkt. Hierzu sind in der Regel zwei getrennte systematische Literaturreviews erforderlich.
Gleichzeitig werden die Anforderungen an den Nachweis der Äquivalenz zwischen dem eigenen Produkt und anderen Medizinprodukten, von denen klinische Daten zur Bewertung herangezogen werden sollen, erheblich angehoben. Dies führt dazu, dass weniger Daten aus der Literatur verwendet werden können. Dadurch wird es in Zukunft notwendig sein, immer häufiger eigene klinische Daten zu generieren, d.h. eigene klinische Prüfungen durchzuführen. Diese Situation wird mit dem Inkrafttreten der neuen europäischen Medizingeräteverordnung (->Medical Device Regulation) weiter verschärft, weil in ihr zahlreiche Produkte in höhere Risikoklassen eingestuft werden.
Größeres Fachwissen gefordert
Auch sind die Anforderungen an die Qualifikationen der Autoren einer klinischen Bewertung derart drastisch verschärft worden, dass dies in der Regel den Einsatz von Autorenteams bedingen wird, deren Mitglieder neben den formalen Aspekten und Prozessen der Produktentwicklung vor allem auch das Produkt selbst verstehen, persönliche Facharztqualifikation oder vergleichbare Qualifikationen im Bereich der klinischen Anwendung des Produktes sowie fundierte Kenntnisse des wissenschaftlichen Arbeitens, regulatorischer Bestimmungen, des Informationsmanagements und des Medical Writings besitzen müssen.
Die Erstellung komplett neuer klinischer Bewertungen für neue Produkte ist für sich genommen schon eine große Herausforderung. Eine mindestens ebenso fordernde Aufgabe ist das „Upgrade“ existierender klinischer Bewertungen. Hierzu sollte immer eine detaillierte GAP-Analyse durchgeführt werden, in der auch schon die notwendigen Änderungen, Ergänzungen und Erweiterungen beschrieben sind.
Erstellung von Clinical Evaluations Plans wird verlangt
Sowohl für neue als auch schon im Markt befindliche Produkte mit „alten“ klinischen Bewertungen müssen zudem Clinical Evaluations Plans erstellt werden, wobei die MEDDEV 2.7/1 Revision 4 dazu schweigt, ob es sich hierbei um einen generellen Prozess im Unternehmen oder um produktspezifische Pläne handelt. In jedem Fall ist es zumindest sinnvoll, einen detaillierten Plan für jedes Produkt oder jede Produktfamilie zu entwickeln, der alle Stadien des Produktzyklus von Beginn der Entwicklung bis zum Ende der Vermarktung begleitet. Immer mehr Hersteller sourcen die klinische Bewertung von Medizinprodukten out.
Der Zuwachs an erforderlichen Ressourcen und Kompetenzen kann besonders für Hersteller von Produkten, die zurzeit noch nicht in Klasse III eingestuft oder keine aktiven Implantate sind, ganz erheblich und unter Umständen überwältigend sein. Dadurch kann es notwendig und sinnvoll sein, Teile der oder die gesamte Erstellung einer klinischen Bewertung auszulagern. Gleichzeitig muss aber sichergestellt werden, dass entsprechende Kernkompetenzen im Unternehmen vorhanden bleiben oder neu aufgebaut werden.