Körpermodifikation – Body Modification und die MDR
22. Dezember 2021Elfenohren oder Teufelshörner, unter die Haut implantierte Elemente, gedehnte Ohrläppchen und Ziernarben auf der Haut. Die Welt der Körpermodifikation umfasst viele verschiedene Formen vom Branding bis zur Zungenspaltung.
Den wenigsten Anbietern ist bis jetzt bewusst, dass einige dieser Produkte unter die neue Medizinprodukteverordnung EU 2017/745 (MDR) fallen. Aus diesem Grund werden wir uns in diesem Beitrag etwas genauer mit diesen Produkten, die Grauzonen und den Herausforderungen, die der europäische Markt für Akteure in diesem Segment mitbringt, beschäftigen.
Die MDR: Produkte im Geltungsbereich des Anhang XVI
Gemäß Artikel 1 fallen die in Anhang XVI näher spezifizierten Produkte ab dem Geltungsbeginn der für sie erlassenen Gemeinsamen Spezifikationen (GS) in den Geltungsbereich der MDR. Diese gelten nach Ablauf von 6 Monaten nach ihrem In-Krafttreten. Ursprünglich geplant war diese Spezifikationen bis zum 26.Mai 2021 zu erlassen, das ist allerdings nicht eingetreten, und derzeit kann auch niemand vorhersagen, wann sie erlassen werden.
Nicht alle Produkte aus dem Bereich der Körpermodifikation fallen jedoch automatisch in den Geltungsbereich der MDR. Anhang XVI der Verordnung gibt hier vor:
- Kontaktlinsen oder andere zur Einführung in oder auf das Auge bestimmte Artikel.
- Produkte, die dazu bestimmt sind, durch chirurgisch-invasive Verfahren zum Zwecke der Modifizierung der Anatomie oder der Fixierung von Körperteilen vollständig oder teilweise in den menschlichen Körper eingeführt zu werden, mit Ausnahme von Tätowierungs- und Piercingprodukten.
- Stoffe, Kombinationen von Stoffen oder Artikel, die zur Verwendung als Gesichts- oder sonstige Haut- oder Schleimhautfüller durch subkutane, submuköse oder intrakutane Injektion oder andere Arten der Einführung bestimmt sind, mit Ausnahme derjenigen für Tätowierungen.
Die Frage, die sich nun am häufigsten stellt, ist folgende:
Hierzu gibt es eine relativ leichte Entscheidungshilfe:
Im Gegensatz zu klassischen Piercingprodukten, die man ohne große Probleme entfernen kann (auch wenn das, bedingt durch das Design des Produktes gelegentlich schwierig sein kann), müssen Produkte, die in den Geltungsbereich der Verordnung fallen, zumeist durch Eingriffe auch wieder entfernt werden. Ein Bauchnabelpiercing beispielsweise, welches vom Träger einfach herausgenommen werden kann, wird also kein Produkt im Sinne des Anhang XVI darstellen. Sogenannte Transdermals, also transdermale Implantate, die häufig zum Anbringen von verschiedenen Schmuckstücken oder Aufsätzen dienen, müssen dagegen im Rahmen eines invasiven Eingriffs entfernt werden. Ist also keine „unblutige“ Entfernung des Körperschmuckes möglich, wird es sich in aller Regel um ein Produkt handeln, auf welches die Verordnung zutrifft. Lässt es sich überhaupt nicht entfernen, trifft das natürlich auch zu.
Aber auch Materialien, beispielsweise die der Aufpolsterung dienen, sind zukünftig durch die Medizinprodukteverordnung geregelt.
Was bedeutet das für die Anwender solcher Produkte?
Für die Anwender dieser Produkte, also die Künstler, die diese Produkte in oder an den Körper bringen, bedeutet dies, dass sie in Europa ausschließlich Produkte verwenden dürfen, die eine CE Kennzeichnung tragen. Für diese Produkte gelten im Übrigen die gleichen Klassifizierungsregeln wie für Medizinprodukte. Das bedeutet, dass aufgrund der Natur der Produkte, diese in aller Regel in eine Risikoklasse zugeordnet werden, die eine Einbindung einer Benannten Stelle in das Konformitätsbewertungsverfahren zwingend erforderlich macht, bevor das Produkt CE gekennzeichnet werden kann. Anwender müssen sich hier unbedingt absichern, dass sie das nötige Fachwissen haben, um fälschlicherweise mit einem CE Kennzeichen versehene Produkte zu erkennen. Darüber hinaus können für diese Anwender in Deutschland Meldepflichten gelten, die durch das deutsche Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG) spezifiziert werden.
Was bedeutet das für Importeure und Händler solcher Produkte?
Viele der Produkte im Segment Körpermodifikation werden aus sogenannten Drittstaaten importiert. Sie werden also beispielsweise in Asien hergestellt und hier in Europa verwendet. Wer solche Produkte direkt aus dem Drittstaat erwirbt und sie hier in den Verkehr bringt (unabhängig davon, ob sie weiterverkauft werden oder selbst verwendet werden), ist ein Importeur und hat die entsprechenden Pflichten gemäß Artikel 13 und 14 der MDR, einschließlich der Registrierungs- und Prüfpflichten, zu erfüllen.
Was bedeutet das für Hersteller solcher Produkte?
Hersteller von solchen Produkten müssen, unabhängig davon, ob sie ihren Sitz innerhalb der EU haben, oder nicht, ein entsprechendes Konformitätsbewertungsverfahren durchführen. In aller Regel wird dies die Einbindung einer Benannten Stelle erfordern. Ein solches Konformitätsbewertungsverfahren kann gut und gern 12-18 Monate in Anspruch nehmen, insbesondere auch vor dem Hintergrund der wenigen Notifizierungen der Benannten Stellen unter der MDR zum aktuellen Zeitpunkt.
Was muss ein Hersteller von solchen Produkten mit Sitz außerhalb der EU bedenken?
Hat der Hersteller seinen Sitz außerhalb der EU, muss er zusätzlich einen Bevollmächtigten bestimmen, der seinen Sitz innerhalb der EU hat. Für diesen Bevollmächtigten gibt es Voraussetzungen und Pflichten gemäß Artikel 11 der MDR, die zu erfüllen sind.
Ab wann gelten die neuen Bedingungen?
Der Geltungsbeginn der MDR für diese Produkte ist mit dem Geltungsbeginn der Gemeinsamen Spezifikationen verknüpft. Für die Produkte gemäß Anhang XVI der MDR müssen diese gemeinsamen Spezifikationen noch erlassen werden. Mit ihrem Inkrafttreten beginnt dann die Frist zum Geltungsbeginn. Diese ist allerdings mit 6 Monaten sehr kurz. Eine weitere Übergangsfrist für diese Produkte ist nicht vorgesehen. Hersteller müssen also dringend handeln, denn sie werden mit den gleichen Schwierigkeiten wie die Hersteller von Medizinprodukten kämpfen müssen: deutlich höhere Anforderungen an die Dokumentation, neue und aufwändige Verfahren zur Konformitätsbewertung und ein Mangel an Benannten Stellen.
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