Kennst du deine eingesetzten Materialien?
16. Mai 2022Der Umgang mit herauslösbaren unbekannten Substanzen/Substanzen mit fehlenden toxikologischen Daten
Medizinprodukte sind häufig hochkomplexe Produkte die aus verschiedenen Materialien, wie Kunststoffen, Metalllegierungen, Keramik und/oder auch Materialien tierischen Ursprungs bestehen können. Für die biologische Sicherheitsbewertung ist es notwendig sich mit den Materialien, deren Abbauprodukten und Verunreinigungen auseinanderzusetzen und diese toxikologisch zu bewerten.
Da die komplette Zusammensetzung der eingesetzten Rohstoffe häufig nicht bekannt ist oder diese durch den Herstellungsprozess (Hitze, Sterilisation) verändert werden können, sind Extraktionsversuche der finalen Medizinprodukte heute ein wesentlicher Bestandteil der biologischen Charakterisierung. Die Grundlagen für die Extraktionsbedingungen und analytischen Verfahrensweisen legen die ISO-Normen 10993-18: 2020 und 10993-12:2021.
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Die Identifizierung von Stoffen durch Extraktionsversuche
In einem ersten Screening sollen organische flüchtige, semi-flüchtige und nichtflüchtige Substanzen und anorganische Elemente, die aus dem Produkt herauslösbar sind identifiziert und toxikologisch bewertet werden. Während anorganische Elemente mittels ICP-MS und ICP-OES eindeutig identifiziert werden können, zeigen sich häufig bei den organischen Substanzen Probleme bei der Identifizierung. Vor allem bei Degradationsprodukten, Farbzusätzen oder Verunreinigungen fehlen oftmals toxikologische Daten, um diese Substanzen bewerten zu können. Wie geht man dann vor?
Umgang mit unidentifizierten Substanzen
Erst einmal schaut man sich die Mengen der unidentifizierten herauslösbaren Substanzen an. Hier kann man sich die ISO/TS 21726:2019 zur Hilfe nehmen. Diese Norm setzt sich mit der Anwendung des TTC-Konzeptes für herauslösbare Substanzen auseinander. Ist die Exposition sehr gering und liegt unterhalb der hier festgelegten Grenzwerte, kann das Risiko für systemische, gentoxische und kanzerogen Effekte als vernachlässigbar angesehen werden und keine weitere Identifizierung ist notwendig. Ansonsten ist analytische Expertise gefragt.
Meist werden in den Screeningverfahren für organische Substanzen Massenspektren zur Identifizierung genutzt. Diese sind charakteristisch für die jeweiligen Substanzen. Ein Experte kann versuchen anhand der Massenspektren die molekulare Masse sowie wichtige funktionelle Gruppen der Substanz abzuleiten.
Anhand dieser Angaben kann mindestens eine Gruppenzuordnung gemacht werden und eine potentielle Gefahrenanalyse. Ist aufgrund von Überlagerungen eine solche Abschätzung nicht möglich, müssen vielleicht zusätzliche Analysenverfahren (e.g. MaldiTOF, MS/MS-Kopplung) eingesetzt werden. Bei Zulassung in den USA kamen erste Rückmeldungen, bei dem die FDA fordert, alle erdenklichen Maßnahmen für die Identifizierung einzuleiten, wenn sie oberhalb des analytischen Bewertungsschwellenwertes (AET) liegen.
Umgang mit unbekannten Substanzen
- Anwendung TTC Konzept und Vergleich der Exposition mit Grenzwerten für Substanzen mit gentoxischen Potentials
- Bei Ausschluss von Gentoxizität Vergleich mit Cramer Klasse III-Grenzwert (Grenzwert für systemische Toxizität)
- Identifikation von Molekulargeweicht und funktionelle Gruppen
- Anwendung weiterer analytischer Methoden
Umgang mit identifizierten Stoffen und ungenügenden toxikologischen Daten
Kann man der Substanz eine Struktur zuordnen, gibt es mehrere Möglichkeiten trotz fehlender Daten diese Substanz toxikologisch zu bewerten. Die erste Möglichkeit ist strukturell ähnliche Substanzen mit vorhandenen toxikologischen Daten zu identifizieren. Man nennt das auch Read-across. Hier können einem Substanzdatenbanken, wie Pubchem oder EPA-CompTox-Dashboard helfen, solche zu identifizieren. Eine zweite Möglichkeit bieten heute in silico-Methoden (Quantitative Struktur-Aktivitäts-Beziehung, QSAR) mit deren Hilfe eine Aussage zumindest über potentielle Gesundheitsgefahren getroffen werden kann.
Hier können Endpunkte wie Gentoxizität, systemische Toxizität, oder Sensibilisierung untersucht werden. Bei Ausschluss von Gentoxizität, können Stoffe anhand ihrer Struktur in Cramer-Klassen eingeteilt werden, die einen deutlich höheren Schwellenwert aufweisen als potentiell gentoxische Substanzen.
Umgang mit identifizierten Substanzen mit ungenügender toxikologischer Datenlage
- Identifizierung von strukturell ähnlichen Substanzen
- Bei Ausschluss von Gentoxizität Vergleich mit Cramer-Klassen (Grenzwerte für systemische Toxizität in Abhängigkeit funktioneller Gruppen)
- In silico-Charakterisierung (Anwendung Quantitativer Struktur-Aktivitäts-Beziehung, QSAR-Analyse)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die toxikologische Bewertung unbekannter Substanzen oder Substanzen mit ungenügender toxikologischer Datenlage eine große Herausforderung für Toxikologen darstellt. Eine gute Zusammenarbeit zwischen Hersteller, Bewerter, Analytikern und möglicherweise QSAR-Spezialisten ist unumgänglich, um diese Herausforderung zu meistern. Führt das alles nicht zum Ziel können weitere biologische Tests notwendig werden.
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