Unsere Experten-Videoreihe: Runde 5
Im Rahmen unserer Experten-Videoreihe konnten wir Ihnen bereits viele wichtige Hinweise und Grundlagen rund um die MDR, die klinische Bewertung und die Datensuche und -verarbeitung geben. Und wir steigen mit jedem Video weiter und vor allem tiefer in die Materie ein. In unserer letzten Folge haben wir uns damit auseinandergesetzt, wer eigentlich die klinische Bewertung erstellt – und welche Qualifikation bzw. Qualifikationen eben diese Person mitbringen muss. Heute liegt der Fokus unseres Interviews auf der Frage nach den Vorarbeiten, die im Rahmen der klinischen Bewertung zu strukturieren und zu erledigen sind.
Unser Expertenteam
Prof. Michael Imhoff
Prof. Michael Imhoff ist Chirurg und Intensivmediziner. Er hat lange Zeit als Oberarzt eine Intensivstation geleitet und sich über Statistiken medizinischer Informatik und Statistik habilitiert. Er arbeitet seit langer Zeit als freiberuflicher Autor klinischer Bewertungen und ist der Medical Clinical Director von qtec.
Dr. Jens-Uwe Hagenah
Dr. Jens-Uwe Hagenah ist promovierter Physiker und hat über 30 Jahre bei einem norddeutschen Medizinprodukte-Hersteller in den Bereichen Entwicklung und Clinical Affairs gearbeitet. In den vergangenen 10 Jahren war er für klinische Bewertungen und die zugehörigen Prozesse verantwortlich.
Welche Vorarbeiten sind wichtig für die Erstellung der klinischen Bewertung?
Genau diese Frage – und noch viele weitere – beantworten wir Ihnen in unserem 5. Interview. Sie möchten endlich in die Welt der klinischen Daten und Co eintauchen? Unser aktuelles Experten-Video sehen Sie hier:
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Mehr InformationenDie Tücken der klinischen Bewertung
Mit der Einführung der MDR ist die klinische Bewertung von Medizinprodukten deutlich anspruchsvoller geworden. Nutzen Sie unser Know-how und unsere umfassende Expertise für die Erstellung Ihrer klinischen Bewertung. Wir kennen uns durch unsere jahrelange Erfahrung bestens aus im Dschungel der Regularien.
Wir sind für Sie im Einsatz.
Konnten Sie nicht allen Ausführungen folgen oder sind Sie bezüglich einiger Begrifflichkeiten unsicher? Kein Problem. Hier finden Sie das Interview zwischen Prof. Dr. Imhoff und Dr. Jens-Uwe Hagenah zum Nachlesen:
Dr. Jens-Uwe Hagenah: In dieser Folge unserer Reihe zur klinischen Bewertung wollen wir uns mit der Frage beschäftigen: Wie führt man sie tatsächlich praktisch durch? In der letzten Folge hatten wir uns mit der Frage auseinandergesetzt, welche Qualifikationen müssen eigentlich diejenigen haben, die es machen – und jetzt geht es wirklich ums Machen. Das wirkliche Machen ist ja relativ umfangreich, deshalb werden wir uns hier mit einem Unterpunkt „Vorarbeiten“ beschäftigen. Wir, das sind Michael Imhoff und ich, Jens-Uwe Hagenah. Ich begrüße Sie wieder herzlich zu dieser Folge.
Michael: Vorarbeiten – Was muss denn eigentlich passieren, bevor man mit einer klinischen Bewertung loslegt?
Prof. Michael Imhoff: Eine Sache, die vorab geklärt werden sollte ist, ob man ins Konsultationsverfahren muss – das ist etwas, was der Hersteller vorab für sich selbst entscheiden muss. Er kann dann nach dieser Entscheidung Kontakt mit der Benannten Stelle aufnehmen, aber die Entscheidung selbst sollte schon vom Hersteller getroffen werden. Das betrifft halt bestimmte Hochrisikoproduktgruppen. Dann ist es auch wichtig relativ frühzeitig zu bestimmen, welche Produkte gegebenenfalls außerhalb der eigenen als äquivalente Produkte herangezogen werden und – das trifft eigentlich immer zu – welche Produkte als ähnliche Produkte im Sinne von similar devices herangezogen werden sollen.
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Und das Konsultationsverfahren würde ich vor allen Dingen dann durchführen, wenn ich sehr neuartige Produkte habe, die in einer hohen Risikoklasse sind?
Prof. Michael Imhoff: Richtig!
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Ein kleiner Ausflug: Das Konsultationsverfahren dient dazu, sich letztendlich schon vorab mit den Behörden abzustimmen, ob die Art und Weise, wie ein Hersteller klinische Bewertungen durchführen will, aus Sicht der Behörden geeignet sein wird, um das Verfahren durchzuführen.
Prof. Michael Imhoff: Genau. Allerdings muss man sagen, dass bei der weit überwiegenden Zahl der Medizinprodukte auch aus den höheren Risikoklassen eigentlich klar ist, wie man die klinische Bewertung macht. Und auch das Risiko bzw. das Risiko-Nutzen-Profil dieser Produkte eigentlich etabliert ist, so dass hier – wie du eben schon sagtest – die neuartigen Produkte im Fokus sind.
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Dann erwähntest du als zweites die Frage von äquivalenten und ähnlichen Produkten. Äquivalente Produkte würde ich dann einsetzen, wenn ich später klinische Daten von diesen Produkten zum Nachweis in die klinische Bewertung einfließen lassen wollte. Und ähnliche Produkte hieße auch, um den Stand der Technik auszuarbeiten, muss ich wissen, was sind denn tatsächlich ähnliche Produkte, zu denen es Informationen aus dem Markt oder aus der Literatur geben kann. Ist das so richtig?
Prof. Michael Imhoff: Richtig. Also bei den äquivalenten Produkten ist es so: Da nehme ich Daten, die ich sonst nur mit meinem eigenen Produkt generieren könnte. Das sind Leistungsdaten, die hoch spezifisch für mein Produkt sind, die eben Leistungsfähigkeit oder auch Sicherheit nachweisen, wenn ich es mit meinem eigenen Produkt anhand der Daten noch nicht kann. Oder eben auch einen Nutzen, der ganz spezifisch für mein Produkt ist, und den ich nur in diesem äquivalenten Produkt abgebildet habe. Das zeigt schon, dass diese beiden Produkte extrem nah beieinander sein müssen. Bei den ähnlichen Produkten ist es zum einen die Abbildung des Standes der Wissenschaft, des Standes der Technik – sowohl klinisch als auch technisch. Das zweite ist, dass ich sage, ich gucke nochmal bei Produkten, die zwar nicht identisch oder sehr sehr nah an meinem Produkt sind, aber die in einem ähnlichen oder gleichen Anwendungsbereich benutzt werden, die das gleiche zugrundeliegende Wirkprinzip haben, ob es hier vielleicht irgendwelche Hinweise auf Risiken oder auf Einschränkungen der Leistungsfähigkeit gibt, die ich bei meinem Produkt noch nicht berücksichtigt habe und wo ich dann zum Beispiel das Risikomanagement daraufhin nochmal überprüfen muss.
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Und zu der Frage der Äquivalenz hatten wir schon in einer früheren Folge, wo es um die klinischen Daten ging, ausführlicher gesprochen.
Prof. Michael Imhoff: Genau.
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Kann man denn eigentlich in diesen Bereich der Vorarbeiten tätig werden, ohne dass man eine ganze Reihe von Dokumenten hat? Oder gibt es da einen Standardsatz an Dokumenten, die der Autor der klinischen Bewertung, der Medical Writer, und die anderen Beteiligten bringen müssen, damit du anfangen kannst? Brauchst du Daten aus der Verifikation und Validierung des Produktes oder präklinische Daten, um anfangen zu können? Und reicht das aus?
Prof. Michael Imhoff: Im Idealfall habe ich zu Beginn der klinischen Bewertung, eigentlich schon zu Beginn der Erstellung des klinischen Bewertungsplans alle notwendigen Dokumente in der endgültigen Fassung zur Verfügung. Das findet im echten Leben nie statt. Wir haben für jede Stufe der Produktentwicklung, eigentlich für jede Risikoklassengruppe Einkaufslisten, dass heißt Listen von Dokumenten, die wir benötigen – dort ist dann auch vermerkt, zu welchem Zeitpunkt oder mit welcher Priorität wir diese Dokumente brauchen. Eine klinische Bewertung zu beginnen, ohne die Zweckbestimmung, die Indikationen, wenn möglich auch noch die Kontraindikationen, die Patientenpopulation und auch die wichtigsten klinischen Claims zu kennen, macht keinen Sinn. Denn das ist die Grundlage dessen, wonach ich die Daten suchen muss. Wenn ich auf der anderen Seite ein neues Produkt habe, das noch in der Entwicklung bzw. zum Ende der Entwicklung ist, was aber schon Vorgängerprodukte hat und mir der Hersteller sagt, das Risikomanagement, die Verifikation / Validerung baut auf dem auf, dann würden wir schon mit der klinischen Bewertung beginnen können und einfach annehmen, es gibt keine bösen Überraschungen bei den endgültigen Dokumenten. Das muss zum Schluss dann nochmal geprüft und evtl. sogar korrigiert werden, aber das ist eben auch ein Vorgehen, wo man die klinische Bewertung sozusagen schon vor endgültiger Fertigstellung der Technischen Dokumentation beginnen kann.
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Warum würde man so etwas tun?
Prof. Michael Imhoff: Einmal, um Zeit zu gewinnen. Das zweite – und das ist eigentlich das wichtigste: Gerade bei neuen Produkten ist es ganz wichtig, sehr früh in der Entwicklung mit einer ersten klinischen Bewertung zu beginnen, um zu sehen, ob ich alle klinischen Daten habe, die ich benötige, oder wo ich Lücken habe und wo ich dann unter Umständen sogar eine Pre-Market-Studie planen muss, was dann natürlich auch wieder ganz erhebliche budgetäre Bedeutungen haben kann ...
Dr. Jens-Uwe Hagenah: … und für den Zeitablauf des Projektes.
Prof. Michael Imhoff: Ja!
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Kommen da noch weitere Dokumente? Also brauchst du Kenntnis über das Risikomanagement, den Risikomanagementreport, über frühere Post-Market Clinical Follow-Up-Studien möglicherweise mit Vorgängerprodukten oder Erkenntnisse aus der klinischen Bewertung von Vorgängerprodukten, wenn es sich um Variationen des Produkts handelt? Sind das auch alles Dokumente, die bei dir auf der Einkaufsliste stehen?
Prof. Michael Imhoff: Ein ganz klares Ja – und zwar zu allem. Alle klinischen Daten, die uns helfen, das neue Produkt einzuschätzen, das zu bewertende Produkt einzuschätzen, sind nicht nur hilfreich, sondern auch gefordert. Je mehr ich vorab weiß, desto besser kann ich auch die klinische Bewertung planen. Wenn es sich um schrittweise Weiterentwicklungen von Produkten handelt, dann kann man eigentlich schon zumindest einen Ansatz der klinischen Bewertung auf Basis der dann bereits existierenden Daten machen, bevor die Technische Dokumentation des eigentlich zu bewertenden Produktes endgültig abgeschlossen ist.
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Eine besondere Rolle wird sicherlich das Risikomanagement spielen, weil ja die Abstimmung über die Frage „Was ist eigentlich ein klinisches Risiko, was ein technisches Risiko?“, „Wer behandelt eigentlich was?“ und „Stimmt der fachliche Experte mit der medizinischen Beurteilung der Gefährdung überein?“ – dass das auch auf dem Vorwege geklärt ist, bevor die klinische Bewertung losgeht?
Prof. Michael Imhoff: Das ist in jedem Falle sinnvoll – es sollte zumindest parallel dazu stattfinden. Das hängt auch ein bisschen von den Prozessen des jeweiligen Herstellers ab. Wir müssen ganz klar sagen: Auch wenn es sich um technische Risiken handelt, die eigentliche Auswirkung ist immer eine klinische, nämlich eine Gefährdung von Patient oder Dritten. Dementsprechend ist es hier sehr hilfreich, eine gewisse klinische Expertise zu haben. Deshalb ist bei uns das Standardvorgehen, dass wir uns bei Produkten, die wir bei einem Hersteller zum ersten mal bewerten oder bei einem Hersteller, den wir das erste mal bei einer klinischen Bewertung unterstützen, dass wird uns da dann auch wirklich die Mühe machen, uns einmal komplett das Risikomanagement anzuschauen – einfach auch, weil man als Außenstehender manchmal weniger betriebsblind ist und bestimmte Inkonsistenzen oder Doppellungen in einem Risikomanagement dann erkennen und mit dem Risikomanager besprechen kann.
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Jetzt hatte ich die Begriffe technisches und klinisches Risikomanagement benutzt – wie würdest du diese beiden Begriffe fassen und dafür auch Sorge tragen können, dass beide zusammen das Gebiet des Risikomanagements vollständig abdecken, ohne das jetzt irgendwo Lücken entstehen, wo bestimmte Gefährdungen durchfallen könnten?
Prof. Michael Imhoff: Also ich würde eigentlich nicht nur zwischen klinischen und technischen Risiken eine kleine Unterscheidung machen, sondern in drei Bereiche von Risiken / Gefährdungssituationen unterscheiden: Das eine sind die technischen Risiken. Das sind Risiken die durch eine technische Fehlfunktion des zu bewertenden Medizinproduktes entstehen. Hier passiert also etwas, was nicht passieren soll. Das zweite ist das klinische Risiko, das spezifisch für das Medizinprodukt ist. Das heißt, dass Medizinprodukt funktioniert einwandfrei, es wird im Rahmen seiner Zweckbestimmung vom Anwender korrekt eingesetzt – was wir immer so lapidar sagen: Gerät nicht kaputt, Anwender nicht kaputt, trotzdem Patient kaputt. Zum Beispiel bei physiologischen closed-loop Contollern ist das eigentlich ein Standard: Du hast ein Gerät, das die inspiratorische Sauerstoffkonzentration im Atemgas danach regelt, wie die Sauerstoffsättigung im Blut ist, zum Beispiel messen mit der Pulsoxymetrie. Da ist es so, dass das typische Zeichen der Verschlechterung der Lungenfunktion des Patienten, nämlich der Abfall der Sauerstoffkonzentration, nicht mehr stattfindet. Da ist das Risiko, dass diese Verschlechterung des Patienten zu spät gesehen wird, weil der Controller ständig die inspiratorische Sauerstoffkonzentration nachregelt. Das wäre ein klinischen Risiko. Der Controller funktioniert völlig einwandfrei, er macht genau das, was er soll. Der Anwender hat ihn richtig eingestellt. Trotzdem erkennt er die Verschlechterung des Patienten zu spät. Die Mitigierungsmaßnahmen, also die Risiko-Kontroll-Maßnahme, wäre zusätzlich ein Alarm auf die inspiratorische Sauerstoffkonzentration zu legen, weil das der Parameter ist, der sich ändert.
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Du erwähntest jetzt noch eine dritte Art?
Prof. Michael Imhoff: Genau. Die dritte Art ist das Risiko durch die medizinische Prozedur, welche vom Gerät her unabhängig ist. Nehmen wir wieder das Beispiel der Beatmung: Wir wissen, dass die Überdruckbeatmung, die lebensrettend sein kann, durch zu hohe Beatmungsdrücke, durch zu hohe Beatmungsvolumina auch die Lunge schädigen kann. Diese Risiken entstehen dadurch, dass der Anwender das Gerät irgendwie einstellt. Das heißt der Anwender stellt das Gerät ein, einen bestimmten Beatmungsdruck zu erzeugen, ein bestimmtes Tidalvolumen zu applizieren. Und dieses Risiko, dass das falsch eingestellt wird, ist bei jedem Gerät gleich, egal vom welchem Hersteller es ist. In den gefühlt letzten 50 Jahren hat sich dieses Risiko nicht relevant geändert. Es liegt in der Kompetenz des Anwenders und dagegen kann der Hersteller eigentlich gar keine Maßnahme ergreifen. Das sind die prozedurenbezogenen Risiken, die in der Regel viel viel häufiger und auch oft gravierender sind als alle gerätebezogenen Risiken – jedenfalls bei den meisten Produkten.
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Würdest du dazu denn auch zählen, dass die Atemmuskulatur des Patienten erschlafft, wenn er längere Zeit ohne Spontanunterstützung beatmet wird?
Prof. Michael Imhoff: Ja.
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Das sind also diese drei Bereiche. Das ist ja alles noch Wissenserhebung. Dann kommt der Punkt, wo etwas neues aus der MDR greift, nämlich die Erstellung des Plans zur klinischen Bewertung – im Anhang Ⅰ beschrieben, was da zu tun ist. Diesen Plan zur klinischen Bewertung, was kommt da denn noch mit rein? Was tritt da jetzt an Informationen auf und welche Schritte müssen da gemacht werden?
Prof. Michael Imhoff: Was wir auf jeden Fall im Auge haben müssen sind die Anforderungen an die grundlegenden Eigenschaften – die general safety and performance requirements. Diese müssen auch so im Plan abgebildet und aufgeführt werden, für welche GSPR´s klinischen Daten erhoben werden müssen. Das interessante ist, dass die Benannten Stellen aus unserer Erfahrung heraus immer großzügiger werden – das ist jetzt freundlich ausgedrückt – in der Anzahl bzw. an die Anforderungen der PSPR´s, die berücksichtigt werden sollen. Als wir angefangen haben, für die ersten MDR-Piloten die klinische Bewertung zu schreiben, waren es 2 GSPR`s. Mittlerweile haben wir Anforderungen von Benannten Stellen von 6 oder 7 verschiedenen GSPR`s – wobei ich mich da immer frage, was für klinische Daten wollen wir denn da wirklich heranziehen? Meiner Meinung nach – und damit bin ich sicherlich nicht alleine – ist es am sinnvollsten, einmal die GSPR-Checkliste durchzugehen, die es eigentlich für jedes Produkt geben muss, nämlich die Abbildung zwischen allen GSPR´s und den entsprechenden Leistungen zu Sicherheitsnachweisen. Das ist ja häufig Abstützung auf etablierte Normen aus der 60601-Reihe oder andere Testverfahren oder das Risikomanagement. Und dann einzeln durchzugehen und zu sagen, okay, da brauchen wir noch klinische Daten, da brauchen wir noch klinische Daten oder da brauchen wir klinische Daten um zu zeigen, dass wir keine Lücken haben. Also nicht zum positiven Nachweis, sondern um zu gucken, gibt es irgendwo klinische Daten, die das in Frage stellen, was wir nachgewiesen haben. Das müsste man machen. Das ist, wenn man das bei einem Produkt das erste mal macht, unter Umständen ein mühsamer Prozess, der sich aber auf jeden Fall hinterher wieder bezahlt macht.
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Das heißt, wenn ich mir diese einzelnen Anforderungen angucke, stelle ich mir immer drei Fragen: Ist dieses eine überhaupt anwendbare Anforderung, weil ich nicht immer die Frage von Biokompabilität beantworten muss? Ist es eine Anforderung, die das Produkt erledigen muss, dann die Frage habe, kann ich das auf präklinischem Wege nachweisen? Und wenn das nicht der Fall ist, dann weiß ich, dann bin ich in dem Bereich, wo ich mit klinischen Daten arbeiten muss?
Prof. Michael Imhoff: Ganz genau.
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Das ganze fließt ein in den Plan zur klinischen Bewertung. Gibt es Unterschiede darin, wo dieser Plan dokumentiert wird und auch in der Einschätzung, wann das zu passieren hat? Kann ich das jetzt einfach in den Bericht über die klinische Bewertung reinschreiben?
Prof. Michael Imhoff: Wir haben das anfangs versucht. Als die MEDDEV 271 Rev. 4 im Sommer 2016 rauskam haben wir einen Monat später die erste klinische Bewertung nach der Revision 4 geschrieben und keiner wusste, was wir mit dem Plan anfangen sollen – auch die Benannten Stellen nicht. Deswegen haben wir diesen einfach im Anhang hinten angehängt. Und irgendwann, nach etwa einem Jahr, fiel dann einer Benannten Stelle auf, das der Plan ein separates Dokument sein muss. Das macht auch Sinn, wenn man das wirklich ernst nimmt. Planen und Ausführen: Dann sollte erst der Plan und dann die Ausführung sein. Das heißt – auch wieder in einer idealen Welt – zuerst schreiben wir uns einen Plan. Dann führen wir diesen Plan aus und der führt dann zur klinischen Bewertung, zum klinischen Bewertungsbericht. In der Realität ist es so, dass man mit bestimmten Dingen, wie der Zweckbestimmung, den klinischen Claims, den Indikationen und Ähnlichem sofort anfängt. Das ist auch ganz wichtig, um die Literatursuche aufzusetzen. Damit würde man den Plan beginnen. Aber mit dem Plan im echten Leben schließt man meist erst dann ab, wenn man auch schon mit der klinischen Bewertung angefangen hat – gerade wenn es ein Produkt ist, das man zum ersten mal bewertet oder was zum ersten mal den Übergang in die MDR macht. Denn dann wird sich manchmal noch etwas ändern, wenn man neue Erkenntnisse im Rahmen der Literatursuche aufdeckt, die dann auch noch in den Plan rein müssen – da ist es manchmal schon ein bisschen interaktiv. Aber rein formal: erst Plan, dann Bewertung!
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Würde also die Benannte Stelle im einfachsten Fall im Rahmen eines Audits gucken, wann ist der Plan unterschrieben worden und wann hat die Literatursuche stattgefunden?
Prof. Michael Imhoff: Ja. Das haben wir auch schon erlebt. Bei einem unserer Kunden, für den wir relativ viele klinische Bewertungen machen, hat die Benannte Stelle in Form eines freundlichen Hinweises darauf hingewiesen, dass ein Tag zwischen Plan und Bewertung nicht glaubhaft ist, macht mal drei Wochen draus. Auf der anderen Seite haben wir es auch schon erlebt oder häufig gesehen, dass die Benannte Stelle, wenn man es ihr erklärt hat, sagt: Okay, es ist sogar bei gleichem Datum akzeptabel, solange es inhaltlich Sinn macht.
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Dann hätte man aber klassischerweise als Hersteller frühere Versionen dieses Plans in seiner Technischen Dokumentation und dann ist für die Benannte Stelle nachvollziehbar, wie es gemacht wurde. Dadurch wird aber auch sicher gestellt, dass jetzt nicht der Plan nach den Ergebnissen geschrieben wird, sondern in einer idealen Welt der Plan zunächst einer Machbarkeit, einer Machbarkeitsuntersuchung unterzogen würde. Wenn man weiß, dieser Plan funktioniert so, wieder die Orientierung an Cochrane, dann würde man sagen, jetzt ist er auch scharf geschaltet und ab diesem Moment machen wir dann die Analyse der Daten und kommen zu einem Ergebnis?
Prof. Michael Imhoff: Auch das ist wieder das Abbild der idealen Welt – das sollte man zumindest immer im Hinterkopf haben. Allerdings muss man wirklich sagen, dass die meisten klinischen Bewertungen und damit auch die meisten klinischen Bewertungspläne für Produkte erfolgen, die schon im Markt sind, die man kennt und für die man schon die klinischen Bewertungen unter MDD Rev. 4 geschrieben hat, so dass man da kein komplettes Neuland betritt und man relativ sicher sein kann, dass der Plan, den man als erstes gemacht hat, auch stehen bleibt, weil man das Produkt kennt. Aber natürlich hast du grundsätzlich recht: erst Plan machen, gucken, ob der Plan funktionieren kann, dann ausführen.
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Ja Michael, vielen Dank für diese Antworten zum Thema „Welche Vorarbeiten muss ich eigentlich erledigen, wenn ich eine klinische Bewertung machen will?“. In der nächsten Folge werden wir und dann mit dem ersten Schritt beschäftigen, der schon Teil der klinischen Bewertung wird: die Erhebung des Standes der Technik. Wir würden uns freuen, Sie wiederzusehen.
Dr. Jens-Uwe Hagenah: Das heißt, wenn ich mir diese einzelnen Anforderungen angucke, stelle ich mir immer drei Fragen: Ist dieses eine überhaupt anwendbare Anforderung, weil ich nicht immer die Frage von Biokompabilität beantworten muss? Ist es eine Anforderung, die das Produkt erledigen muss, dann die Frage habe, kann ich das auf präklinischem Wege nachweisen? Und wenn das nicht der Fall ist, dann weiß ich, dann bin ich in dem Bereich, wo ich mit klinischen Daten arbeiten muss?
Prof. Michael Imhoff: Vielen Dank!
Unsere Expertenreihe geht weiter
Seien Sie gespannt auf den nächsten Teil unserer Reihe. Wir drehen weitere Videos, in denen wir zahlreiche Aspekte der unterschiedlichen Medizintechnik-Bereiche für Sie beleuchten werden. Denn es gibt noch einiges, was Sie über klinische Bewertung und Co. wissen sollten. Freuen Sie sich darauf.
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